Geheimniskrämerei im Umweltausschuss

„Ich bleibe bei der Position, dass wir zu konkreten Fragen und Prozessstrategien keine Stellung beziehen.“, so der in leichten Variationen mehrmals von Staatssekretärin Katharina Reiche (BMU) vorgetragene Satz in der Sitzung des Umweltausschuss des Bundestags am 27. Juni 2012. Einige Abgeordneten der Oppositionsfraktionen hatten sich erdreistet, nach Informationen zur Klage Vattenfalls gegen die Bundesregierung wegen des „Atomausstiegs“ zu fragen. Die Bundesregierung aber setzt auf absolute Geheimhaltung gegenüber Öffentlichkeit und Parlament.

Die Bundesregierung verweist im schriftlichen vorab-Bericht an den Ausschuss auf die Webseite des zuständigen Schiedsgerichts ICSID. Dort erfährt die Leserin, dass Vattenfall am 31. Mai 2012 eine Klage gegen die Bundesregierung eingereicht habe. Gegenstand der Klage: „Nuclear power plant“. Aha…, etwas genauer wollten es die Abgeordneten dann doch wissen. Auf Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. sollte sich die Bundesregierung nun im Umweltausschuss zur Vattenfall-Klage äußern. Umwelt-Staatssekretärin Katharina Reiche teilte das Datum der Klageeinreichung mit und den Grund: Vattenfall fühlt seine Rechte aus der Energiecharta, einem Investitionsschutzabkommen, verletzt und fordert daher Schadensersatz. Ansonsten seien schwierige Rechtsfragen zu klären und „dazu können und werden wir uns während des Verfahrens nicht äußern.“ Keine Auskunft zum Gegenstand der Klage. Keine Angaben zur Höhe der von Vattenfall geforderten Entschädigungszahlung. Selbst solche Fragen zur Energiecharta, die keinen direkten Bezug zur Klage hatten, wurden zurückgewiesen.


ICSID-Webseite: Einzige Informationsquelle zur Vattenfall-Klage für Abgeordnete

Transparenz und Rechtsstaatlichkeit wird in dem Schiedsverfahren eh klein geschrieben werden. Denn das von Vattenfall eingeleitete Verfahren vor dem „Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID) in Washington funktioniert nach anderen Regeln als die Klagen von E.ON und RWE vor dem Bundesverfassungsgericht. Das aus drei Investitionsrechtlern bestehende ICSID-Tribunal entscheidet in geheimer Sitzung und auf Basis des sehr unpräzise formulierten internationalen Investitionsschutzrechtes darüber, ob Deutschland eine milliardenschwere Entschädigung an den Atomkonzern Vattenfall zahlen muss. Das Urteil ist letztinstanzlich, also ohne Revisionsmöglichkeiten.

Dies kann zu der absurden Situation führen: das Bundesverfassungsgericht – tätig aufgrund der Klagen von E.ON und RWE – erklärt den „Atomausstieg“ für rechtens. Das ICSID-Schiedsgericht kommt hingegen zum Schluss, dass die Rechte Vattenfalls aus dem Energiecharta-Vertrag verletzt sind und verurteilt die Bundesregierung zu Entschädigungszahlungen. Schwer vorstellbar, wie dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar wäre? Aber das Grundgesetz spielt für das ICSID-Gericht eine nachrangige Rolle, im Fokus steht der Investitionsschutz privater Unternehmen.

Aus diesem Grund muss man sich über die Klage Vattenfalls gegen den Atomkompromiss 2.0 fast freuen. Denn sie rückt die demokratiefeindlichen Investitionsabkommen etwas mehr ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt erfährt die Bundesregierung am eigenen Leib, wie es ist, wenn Investitionssicherheit, man könnte auch sagen: private Konzerninteressen, durch zwielichtige Abkommen vor nationale Politik gestellt werden.

Die Energiecharta sichert ausländischen Investoren Klagemöglichkeiten gegen staatliche Politik vor internationalen Schiedsgerichten. Diese „Investor to State“-Klagerechte wurden ursprünglich ersonnen zum Zwecke der Absicherung deutscher Konzerninteressen in Entwicklungsländern oder, wie im Falle der Energiecharta, Osteuropa. Klagemöglichkeiten bestehen aber auch in die andere Richtung, z.B. schwedisches Unternehmen -> Deutschland. Im April 2009 hatte Vattenfall schon einmal wegen der Umweltauflagen für das geplante Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg ein ICSID-Verfahren gegen Deutschland initiiert. In seiner Streitschrift berief sich das Unternehmen damals auch auf den Energiecharta-Vertrag und formulierte einen Kompensationsanspruch von über 1,4 Milliarden Euro. Das Verfahren wurde später unter geheim gehaltenen Bedingungen eingestellt – Vattenfall erhielt u.a. eine neue Betriebsgenehmigung für sein Kohlekraftwerk.

Deutschland ist Vertragspartei der ICSID-Konvention und des Energiecharta-Vertrags, hat aber darüber hinaus noch ein ganzes Netz von über 130 weiteren internationalen Investitionsabkommen, vor allem so genannte ‚Bilaterale Investitionsabkommen‘ (BITs). Damit ist Deutschland Weltmeister im Abschließen derartiger, einseitig auf Konzerninteressen ausgerichteter Investitionsabkommen. Diese werden von Unternehmen und Anwaltskanzleien immer häufiger benutzt, um unliebsame politische Regulierungen anzugreifen.

Doch der Bundesregierung scheint dies komplett egal zu sein. Der LINKEN Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert fragte die Bundesregierung im März 2012: Wie bewertet die Regierung den Umstand, dass ein geheimes Schiedsgremium privater Investitionsrechtsanwälte über die Zulässigkeit des deutschen Atomausstiegs und über die Höhe einer Entschädigung entscheidet, ohne dass das Rechtsstaatsprinzip – Stichwort: unabhängige Richter, Transparenz, Sozialpflichtigkeit des Eigentums – eine Rolle spielt? Die lapidare Antwort der Bundesregierung: Dies entspreche „bewährter jahrelanger internationaler Praxis“. Auf die Frage, wie die Bundesregierung, die Information von Parlament und Öffentlichkeit über den Stand des Verfahrens gewährleisten wolle, antwortete sie: „Die Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention sind vertraulich.“

Da verwundert es dann auch gar nicht mehr, wenn die Bundesregierung diesen Mangel an Transparenz und Rechtsstaatlichkeit im gegenwärtig laufenden Überprüfungsprozess der Energiecharta nicht ändern will. Auf eine schriftliche Frage der LINKEN-Abgeordneten Ulla Lötzer, ob sich die Bundesregierung dafür einsetzen würde, „dass zukünftig keine Investor-Staat-Schiedsverfahren mehr über staatliche Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlsinne befinden können“, antwortete sie mit einem kurz „Nein“.

Auf gemeinsames Drängen der Oppositionsfraktionen prüft die Bundesregierung nun, ob die Klageunterlagen zumindest als geheime Verschlusssache für die Abgeordneten einsehbar gemacht wird. Dies könne aber nur ein erster Schritt sein, so die Vorsitzende des Umweltausschusses Eva Bulling-Schröter. Sollte die Regierung auch diesen Schritt verweigern, werde auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf  Freigabe der Informationen erwogen, wird der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch in der taz zitiert.

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Ausführliche und informative Hintergründe zur Klage Vattenfalls vor dem ICSID-Schiedsgericht finden sich auf der Webseite von PowerShift.

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