Fahrrad-gerecht die Herrschaft des fossilen Verkehrs überwinden

von Sabine Leidig (MdB, verkehrspolitische Sprecherin DIE LINKE), 11.07.2016

In Berlin hat die Initiative „Netzwerk lebenswerte Stadt“ kürzlich in weniger als vier Wochen über 105.000 Unterschriften gesammelt – für ein Volksbegehren zum planmäßigen Ausbau der Fahrradinfrastruktur in der Stadt. Gut so! Kein anderes Verkehrsmittel, von den eigenen Füßen einmal abgesehen, hat eine so gute Umweltbilanz wie das Fahrrad. Es produziert keine Schadstoffe, keinen Lärm, braucht wenig Platz und ist gut für die Fitness. Kurz: wer radelt, anstatt Auto zu fahren, verbessert die Lebensqualität - für alle. Obendrein schont das Radfahren den privaten und öffentlichen Geldbeutel. Gute Gründe, die Verkehrsverhältnisse für Radler*innen entschieden zu verbessern.


Noch sind es im Bundesdurchschnitt nur 12 Prozent, aber Experten schätzen, dass sich in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten auf den Radverkehr verlagern ließen. Dass dieses Ziel erreichbar ist, zeigen Städte wie Kopenhagen, Amsterdam oder auch Münster, wo der Radverkehrsanteil mit 38 % bereits den Anteil des motorisierten Individualverkehres (36%) überholt hat.

In Deutschland werden jährlich Milliarden Euro für Auto­werbung ausgegeben. Das beeinflusst das Verhalten der Menschen. Um dem etwas entgegen zu setzen sind öffentlichkeitswirksame Aktionen und Werbung fürs Fahrradfahren wichtig und richtig: autofreie Sonntage, Wettbewerbe wie das Stadtradeln, so schöne Ideen wie „Park statt Parkplatz“, oder auch das gute Vorbild von radelnden Oberbürgermeister*innen.

Immerhin wurde vor drei Jahren die Straßenverkehrsordnung erneuert und brachte den Radler*innen mehr Rechte. Auf diesem Gebiet ist aber noch längst nicht „Ende der Fahnenstange“: mit Tempo-30 als Regelgeschwindigkeit in Städten und Gemeinden wäre das Fahren für alle sicherer und entspannter. Auch Ampeln, die für den Autoverkehr konzipiert sind, müssten fahrradfreundlich umgedeutet werden: neben „Grüner Welle“ fürs Fahrrad, ist das Rechtsabbiegen zu nennen und die Abstufung roter Ampel zu „Vorfahrt beachten“ was das Radeln attraktiver und schneller macht. Und nicht zuletzt müssen die staatlichen Behörden die Regeln durchsetzen, die zum Schutz Aller gelten – denn Störfaktor Nummer eins für Radler*innen im Straßenverkehr sind und bleiben unvorsichtige und rücksichtslose Autofahrer.

Es geht um Umverteilung der Infrastruktur
Aber das reicht nicht, um das Fahrradfahren im Alltag attraktiv und sicher zu gestalten.
Dieses Ziel muss in den „materiellen Verhältnissen“ Ausdruck finden. Es geht um Umverteilung im öffentlichen Raum. In Berlin werden derzeit 15 Prozent der Wege mit Fahrrädern zurückgelegt, aber nur 3 Prozent der Verkehrsfläche stehen dafür zur Verfügung. Die Autofahrenden haben 58 Prozent der Fläche für ein Drittel der zurückgelegten Wege.
Die Berliner Rad-Aktivisten fordern per Volksentscheid genau das: unter anderem zwei Meter breite Radwege an allen Hauptstraßen, 100 Kilometer Radschnellwege und 200.000 zusätzliche Abstellplätze innerhalb von acht Jahren.

Das kostet natürlich Geld. Und auch da geht es um Umverteilung. Innerhalb der Städte und beim Bund: der Verkehrsetat ist der größte Investitionsetat im Bundeshaushalt – eine enorme Gestaltungsmacht. Es ist absurd, dass auch der Bundesverkehrswegeplan 2030 noch weiteres Wachstum des motorisierten Straßenverkehrs zum Ziel hat. So soll rund 1 Milliarde Euro in eines der teuersten und dümmsten Straßenbauprojekte gepumpt werden: in den Weiterbau der A100 in Berlin, mitten durch dicht bebaute Wohngebiete. Obwohl ganz offensichtlich ist, dass die Berliner Verkehrsverhältnisse nicht mehr Autobahn, sondern mehr Fahrradwege und ÖPNV verlangen, gibt es keinen Weg zur „Umnutzung“ dieser Investitionsmittel. Wenn Berlin die Autobahn nicht baut, fließt das Geld nach Hessen oder Niedersachsen und wird dort für ebensolche verbraucht. Dieser Widersinn muss ein Ende haben. Richtig wäre ein Bundesmobilitätsplan, der Umwelt- und Klimaschutz, Lebensqualität und Mobilität zum Ziel hat und den Kommunen Mitsprache gibt.

Die Berliner Morgenpost veröffentlichte jüngst eine Umfrage, nach der nur 14 Prozent der Berliner*innen den Autoverkehr verbessern wollen, 26 Prozent den Radverkehr und 54 Prozent den öffentlichen Verkehr! Selbst unter den Autofahrer*innen will nur eine Minderheit von 29 Prozent in den Autoverkehr investieren und jeder zweite Autofahrer findet die Idee von mehr Fahrradinfrastruktur gut.

Entscheidend dafür, dass mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen, ist, dass dem Radverkehr in jeder Hinsicht mehr Raum gegeben wird – zusammen mit den „Öffis“ und zu Lasten der „Stehzeuge“, also der PKWs, die zu über 90 Prozent der Zeit geparkt rumstehen und Platz verbrauchen, der eigentlich allen zusteht.

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