Lebensraum statt mehr Verkehr - über die Suche nach einer Zukunft in der Mobilitätspolitik
- Details
- 2 August 2017
- von Herbert Behrens, MdB
Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem eine Weichenstellung in der Verkehrspolitik getroffen werden kann: Die Automobilindustrie muss sich den aktuellen ökologischen Herausforderungen und den Fragen nach der Verlässlichkeit ihrer Branche stellen. Die Bundesregierung muss erkennen, wo in der Vergangenheit Fehler begangen worden sind. Die Öffentlichkeit sucht nach einem Ausweg aus der Verunsicherung über die Zukunft ihrer Mobilität.
Das heißt, alle relevanten Akteure sind zum gleichen Zeitpunkt vor die Frage der Zukunft in der Mobilitätspolitik gestellt. Wenn sie diese sich jetzt bietende Chance nicht nutzen, tragen sie dazu bei, eine Branche mit hunderttausenden Arbeitsplätzen, mit einem technischen Know-how auf hohem Niveau und internationaler Anerkennung noch tiefer in die Krise zu stürzen.
Die täglichen Verkehrsströme mit kilometerlangen Staus, der Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen, der jährlich für 10 000 Menschen den vorzeitigen Tod bedeutet und die Produktion des Klimagases CO2 haben Konsumenten nachdenklich gemacht. Sie fordern eine Politik, die ihren Bedürfnissen nach Gesundheit und Mobilität gerecht wird. Sie wollen Lebensräume in Städten und Dörfern statt mehr Verkehr.
Die Automobilindustrie kommt aus der Nummer nicht heraus, den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung ernst zu nehmen und sich auf die fast vollständige Dekarbonisierung des Verkehrssektors einzustellen. Das ist nicht mit mehr Autos und schon gar nicht mit noch größeren Autos zu machen.
Doch was so offensichtlich ist, wird im gnadenlosen globalen Wettbewerb der Automobilkonzerne kaum zum Thema gemacht. Der heutige Dieselgipfel ist aus diesem Grund in keiner Weise geeignet, die Probleme auch nur im Ansatz zu lösen. Zum einen liegt das in der Zusammensetzung des Teilnehmerkreises: Die CDU/CSU-SPD-geführte Bundesregierung ist mit der renditegesteuerten Konzernelite auf das engste verbandelt. Sie mit der Lösung des von ihr geschaffenen Problems allein zu lassen, wäre fahrlässig. Die Teilnahme von Landesregierungen mit hoher wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Automobilindustrie, der IG Metall und des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) bestätigt diese Einseitigkeit. Bei dieser Konferenz die Verbraucherinteressen völlig außen vor zu lassen und die Vordenker für eine nachhaltige Mobilitätspolitik aus den Verkehrs- und Umweltverbänden zu ignorieren, ist bezeichnend.
Es bedarf eigentlich auch keines Verhandlungsprozesses darüber, wie mit den Betrügereien, seien es verbotene Kartellabsprachen oder illegale Abschalteinrichtungen der Automobilhersteller, umgegangen werden soll. Sie sind schlicht und einfach verboten und müssen geahndet werden.
»Die Politik muss begreifen, dass sie aus dem auto-industriellen Komplex aussteigen muss«, sagt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel. Damit ist deutlich gemacht, auf welcher Grundlage zukunftsweisende und nachhaltige Beschlüsse zur Mobilitätspolitik getroffen werden müssen.
Erstens muss die Position der in ihrer Gesundheit bedrohten Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden. Wenn es den Autoherstellern nicht gelingt, und davon ist auszugehen, den Schadstoffausstoß auf die zugelassenen Grenzwerte zu reduzieren, ist das Fahrverbot für die Innenstädte unumgänglich. Zweitens sind die vom Abgasbetrug betroffenen Kundinnen und Kunden zu entschädigen. Die Finanzierung haben die Hersteller zu tragen. Es wäre absurd, wenn jetzt noch Steuergeld - letztendlich der Geschädigten - eingesetzt wird, um Umrüstungsmaßnahmen zu finanzieren. Sofort muss aber auch am Umbau der Mobilitätspolitik gearbeitet werden. Aktive aus ökologisch ausgerichteten Verkehrsinitiativen, Mitglieder der LINKEN und der Linksfraktion im Bundestag haben ein Konzept für einen sozial-ökologischen Umbau erarbeitet. Umweltgerechte Mobilität und die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs zulasten des Individualverkehrs sind zentrale Punkte des Konzepts. Dieses gilt es jetzt in parlamentarische und außerparlamentarische Initiativen zu überführen.
Auf dem Weg dahin wird dabei auch immer über die Zukunft der Beschäftigten in der Automobilindustrie zu diskutieren sein. Das Wort Konversion gehört auf die Tagesordnung. Und ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann. Autobauer können mehr als nur Gefährte auf vier Rädern zusammenzuschrauben.
Dieser Artikel erschien am 2. August 2017 im Neuen Deutschland.