Die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) wieder im Fokus

150px-Flag_of_EuropeMit dem folgenden Text von Malte Richey geben wir einen Überblick über die Diskussion rund um "TEN-V" - die Transeuropäischen Verkehrsnetze und die Politik, die damit von der Kommission verfolgt wird.

TEN-V ist so etwas wie der europäische Bundesverkehrswegeplan, nur unverbindlicher. Dazu gehören als Gesamtnetz derzeit 95.700 km Straße, 106.000 km Schiene, 13.000 km Binnenwasser-straße, 411 Flughäfen und 404 Seehäfen. Teile hiervon befinden sich noch in der Planung oder sind im Bau.

Es gibt eine Förderliste mit 30 prioritären Projekte. Von der Grundidee sollten die Knotenpunkte und Ballungsgebiete in der EU untereinander damit ausgebaut und verbunden werden. Zumeist wurden jedoch Großprojekte angemeldet, die ein solch geringen verkehrlichen Bedarf oder Nutzen haben, dass es für sie keine prioritäre oder ausreichende nationale Finanzierung gegeben hätte.

Die meisten Verkehrsnetze in der EU stammen aus einer Zeit, in der die Planungen vor allem an den dem regionalen oder nationalen Verkehrsbedarf orientiert werden. Daher besteht heute z.B. kein einheitliches Eisenbahnsystem, so dass ein Zug nicht durchgängig jede Strecke des Schienennetzes in der EU befahren kann. Durch die Förderung von Infrastrukturen, die Grenzen überschreiten und nationale Netze miteinander verbinden, sollen die Transeuropäischen Netze den Transport von Personen und Gütern verbessern, Randregionen mit den Zentren der Union verbinden und Europa für die Nachbarländer öffnen

Doch auch der TEN-V Zuschuss ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn die Gesamtkosten allein dieser Projekte werden mit 225 Milliarden Euro veranschlagt. Bisher verzögerten sich die große Projekte aufgrund mangelnder Kofinanzierung des Löwenanteils und fehlende Koordination zwischen den Regierungen.

Die Hauptlast der Finanzierung des TEN-V tragen zwischen 2007 und 2013 mit 196 Mrd. € die Mitgliedstaaten. Die EU selbst stellt über den TEN-V-Haushalt 8 Mrd. € sowie über den europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds 43 Mrd. € bereit.  Bisher wurden in das TEN-V von allen Ländern insgesamt 400 Mrd. € investiert, davon rund ein Drittel aus EU-Mitteln. Die nächste Förderperiode wird nun von 2014 bis 2020 beschlossen. Ein Vorschlag will die EU Kommission (EU-KOM) bis Juni 2011 vorlegen.

Die Überarbeitung der TEN Politik dient nach Auffassung der EU-KOM der Beseitigung kritischer Engpässe, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Strecken und intermodalen Drehkreuzen (Städte, Häfen, logistische Plattformen).

Ausbau der Verkehrsinfrastruktur:

Die Bundesregierung (BReg) will einen einheitlichen Bewertungsmaßstab mit objektiven und nachvollziehbaren Kriterien wie transportbezogene Daten, Verkehrsströme und Strecken-belastungen. Ist bislang nicht der Fall, sondern Zuschüsse wurden im Wesentlichen nach politischem Proporz verteilt. War ein großer fachlicher Kritikpunkt. Eine einheitliche Bewertung wäre zum Vorteil großer Transitländer wie Deutschland (Dtld.) allerdings für eine Objektivierung der Mittelvergabe auch aus unserer Sicht sinnvoll. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass sich die Entscheidungen zukünftig daran orientieren werden, die politische Realität ist eine andere.

Schwerpunkt grenzüberschreitender TEN-V Förderung

Die BReg will keine Fokussierung auf grenzüberschreitende Abschnitte, da sie lieber nationale Projekte auf Hauptverkehrsachsen über TEN-V fördern will. Dies lehnt DIE LINKE. ab, weil es dem gesamten Grundprinzip widerspricht.

Seehäfen

Die BReg will die leistungsfähige Anbindung der Seehäfen, insbesondere die Einbeziehung der umschlagstarken deutschen Häfen Hamburg, Bremische Häfen, Wilhelmshaven / Jade-Weser-Port, Lübeck und Rostock in das Kernnetz. Wäre für ein intermodales Verkehrskonzept unter stärkerer Berücksichtigung der Wasserstraßen und Meeresautobahnen grundsätzlich verkehrspolitisch sinnvoll. Was hier fehlt ist ein stärker zielgerichteter Ausbau und Verkehrslenkung, so dass nicht alle Standorte in Konkurrenz aus gebaut werden, sondern alle bestehenden Kapazitäten durch Kooperation optimal genutzt werden.

Finanzierung von Unterhaltskosten aus TEN Mitteln

Die BReg will „eine Berücksichtigung der durch den Transitverkehr entstehenden Belastungen auf unseren Verkehrsnetzen und des daraus folgenden Aufwandes für Erhaltungsmaßnahmen“, was ziemlich dreist ist. Die TEN -V Mittel reichen vorne und hinten nicht und sind für Investitions-maßnahmen gedacht, wenn damit jetzt auch noch der Unterhalt deutscher Straßen bezahlt werden soll, ist gar keine europäische Verkehrsentwicklung mehr möglich.

Europäischer Finanzrahmen

Die BReg lehnt einen „Europäischen Finanzrahmen“ unter Verwaltung der EU-KOM ab, da dieser nationale Investitionen vorwegnehmen würde und nationale Einnahmen aus Verkehrstätigkeiten umfasst. Sie will keine Infrastrukturplanung bzw. Planungsvorgaben durch die EU-KOM.

 

Befürchtet wird eine weitere Aufgabenverlagerung zur EU, was abgelehnt wird. Also wasch mich, aber mach mich nicht nass. die Gelder sollen in deutsche Projekte fließen und die Vorgaben solange objektiven Kriterien folgen, wie es passt, Konsequenzen aber bitte nur im nationalen Interesse folgen. Es ist zwar verständlich, aber wenn jedes Mitgliedsland so argumentiert, kommt eine eine Europäische Verkehrspolitik nicht weiter.

Förderschwerpunkte:

Die Frage ist, ob die 30 prioritären Projekte des Kernnetzes im Rahmen der Überarbeitung der Kriterien nochmal grundsätzlich kritisch hinterfragt werden, oder auch für die Förderperiode bis 2020 zu Grund gelegt werden. Viele dieser Projekte sind höchst umstritten, wie  Stuttgart 21, die feste Fehmarnbeltquerung, die Y-Trasse oder in Italien: Die Brücke nach Sizilien. Die Projekte müssten grundsätzlich auf dem Prüfstand gestellt und nach den neuen, einheitlichen Kriterien bewertet werden.

Generaldirektor für Mobilität und Verkehr, Herr Ruete hat in seinem Schreiben vom 10.12.10 an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (VeBaS) auf Fragen der Ausschussmitglieder zu den 30 vorrangigen TEN Projekten geschrieben: „Dabei kann erwartet werden, dass der größte Teil der derzeitigen vorrangigen Vorhaben in das neue Kernnetz integriert werden“.

Siim Kallas spricht aktuell in der TEN-Politik hingegen davon, „die östlichen und westlichen Teile der Union  effektiv verbinden“ zu wollen.  In der gemeinsamen Pressemitteilung (PM) der Präsidentschaft und Kommission vom 08.02.11 heißt es darin, „Die Minister begrüßten die Absicht der Kommission, weiterhin EU-Fördermittel für die künftige Entwicklung des umfangreichen Netzes vor allem in Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen, die für den Kohäsionsfonds in Frage kommen.“  Das sind Staaten, deren Pro-Kopf-BIP unter 90 % des EU-Durchschnitts liegen, also insbesondere die Süd- und Osteuropäischen Länder. Ob dies der ungarischen Präsidentschaft geschuldet ist? Seit letztem Sommer gilt dort jedoch das weitere Kriterium, dass das  öffentliche Defizit max. 3% des BIP des Landes betragen darf, was es für die meisten Länder damit gleich wieder einschränkt. Die Frage ist, Wie ernst ist es der EU-KOM nun ist, die Förderschwerpunkte zu verschieben?

In der PM ist auch von „innovative Finanzierungsinstrumente, mit denen die private Finanzierung besser mobilisiert werden könnte“ die Rede, also Public Private Partnership (PPP).  Hier ist zukünftig eine konkretere europäische Offensive zu erwarten, in der ein weiterer Infrastrukturbereich den Profiten des Marktes geöffnet werden soll.

Herr Ruete schrieb indem besagten Schreiben: „Die Zusammenarbeit mit nationalen Parlamenten ist auch im Zusammenhang mit den TEN-V-Leitlinien wichtig. Dazu gehört, dass den Parlamenten bereits im Vorfeld der Leitlinienerarbeitung vielfältige Einflussmöglichkeiten zukommen.“ doch dazu ist nichts konkfretes geplant. Im Ausschuss werden die Punkte ohne Debatte durchgewunken und die bisherigen Leitlinien zum Transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V) sollten zukünftig auch den Rang einer Verordnung erhalten. In der Rechtsform einer EU-Verordnung würde sie direkt in der EU durchgreifen - ohne dass nationale Parlamentsbeschlüsse erforderlich wären. Eine Beteiligung der nationalen Parlamente ist für eine so weitreichende Infrastrukturentscheidung allerdings dringend notwendig.


LINKE Vorschläge für das zukünftige TEN-Konzept:

Es sollte bei der Finanzierung des europäischen Kernnetzes der Schwerpunkt der Förderung zunächst auf grenzüberschreitende Abschnitte gelegt werden, die bislang schlecht erschlossene Ballungs-räume verbindet. Einen Schwerpunkt auf die Verbindung der Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOE) mit Westeuropa zu legen, unterstützen wir.

Die Kommission hat nach Schreiben von Herrn Ruete, in ihrem Korridorkonzept bestätigt, dass bei der Verbindung zweier Metropolen nicht um Einzelprojekte, sondern der Förderung von Korridorstrukturen geht.

Es sollte daher keine einzelnen Großprojekt gefördert werden, wie bisher, sondern ein fixer Zuschuss pro km Verbindung gezahlt werden, jedoch differenziert nach Verkehrsträger. Dies erhöht einerseits den Anreiz, nicht teure Prestigeprojekte, sondern kosteneffiziente Verbindungen zu wählen. Andererseits soll die Differenzierung der Förderung nach Verkehrsträger dazu führen, dass ökologische Verkehrswege über Wasserstraßen und Bahnverbindungen einen höheren Förderzuschuss erhalten, als Straßenverbindungen. Verbindungen sollten  ausdrücklich auch durch intermodale (Kombination unterschiedlicher Verkehrsträger) Verkehrswege geschlossen werden.

Ein Beispiel: Dies heißt dass zur Bewältigung der Transportströme der Knotenpunkte Hamburg-Kopenhagen der Personenverkehr durch eine intelligente Optimierung der Schienenhinterland-anbindungen von Hamburg nach Puttgarden und Rodby nach Kopenhagen erfolgen und das Zwischenstück Puttgarden-Rodby, intermodal durch eine „schwimmende Brücke“, also einem optimierten Fährkonzept mit reduzierten Transportzeiten, ergänzt werden kann. Intermodaler Verkehr soll ja immer gefördert werden und grenzüberschreitende Seeverkehrsverbindungen und Meeresautobahnen sind ebenfalls Bestandteil des TEN-Netzes. Der Schienengüterverkehr kann weiterhin über die Jütlandroute laufen.

Mit diesem Ansatz würden also die kritischsten Großprojekte aus der Förderung rausfallen und kosteneffizientere, dezentrale und kleinere aber ebenfalls grenzüberschreitende Konzepte endlich eine Chance haben.

 

Exkurs: Kritik des Europäischer Rechnungshofs:

Der Europäische Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht Nr. 8/2010 (Dezember 2010) zur „Verbesserung der Verkehrsleistung auf den transeuropäischen Eisenbahnachsen: Waren die EU -Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur wirksam?“ eben jener Frage nachgegangen und kommt zu einer sehr kritischen Beurteilung der bisherigen Praxis. Hier eine Auswahl seiner Kritikpunkte:

"Die Definition der vorrangigen Vorhaben, des wichtigsten Instruments für den koordinierten und gebündelten Einsatz der EU-Finanzmittel, beruhte bislang nicht auf einer Analyse der tatsächlichen bzw. erwarteten Verkehrsströme, und mit den Achsen, auf denen die Vorhaben liegen, wird nicht definitiv aufgezeigt, wo die wichtigsten transeuropäischen Eisenbahnachsen verlaufen."

Genauer: "In Ermangelung eines klaren Verständnisses davon, was unter einer europäischen Hauptachse zu verstehen ist, stellten die Bewerter fest , es bereite ihnen Schwierigkeiten, die Stärken der Standorte der vorgeschlagenen Streckenabschnitte kohärent zu bewerten. Die unter schiedliche Anzahl und fehlende Kohärenz der Analysen zur Untermauerung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit und des sozioökonomischen Nutzens der vorgeschlagenen Streckenabschnitte erschwerten den Bewertern einen Vergleich der jeweiligen Stärken der vorgeschlagenen Vorhaben.

Die Projektvorschläge enthielten keine ausreichenden und schlüssigen Angaben zum erwarteten europäischen Mehrwert der Vorhaben, insbesondere hinsichtlich des Ausmaßes des erwarteten transeuropäischen Verkehrs."

Es "besteht weiterhin Verbesserungspotenzial, und dies betrifft die Verwendung von Kosten-Nutzen-Analysen. …Eine Überprüfung der Projektauswahlunterlagen ergab, dass zur Kosten-Nutzen-Analyse eines vorgeschlagenen Projekts nur zusammengefasste Angaben vorgelegt wurden und dass diese in der Praxis hinsichtlich der berücksichtigten Variablen, der Detailgenauigkeit und der Annahmen, auf denen die Analyse beruht, nicht kohärent sind. Annahmen bezüglich der voraussichtlichen künftigen Verkehrsströme sind wesentliche Bestandteile solcher Analysen... Ein kohärentes Modell der europäischen Schienenverkehrsströme, das Daten für die Gesamtpolitik sowie für die spezifische Projektauswahl liefern könnte, ist bislang noch nicht entwickelt worden."

"Kostensteigerungen bei den im Rahmen der Prüfung untersuchten Streckenabschnitten: Für 19 der 21 geprüften Streckenabschnitte waren Angaben zu den Kosten verfügbar. Es waren Kostensteigerungen aufgetreten, die sich bei elf Abschnitten auf bis zu 49 %, bei sechs Abschnitten auf zwischen 50 % und 100 % und bei zwei Abschnitten auf mehr als 100 % beliefen.... Das Risiko aus dem Ruder laufender Projektkosten kann Befürchtungen hinsichtlich einer geringen Rentabilität verstärken, sodass sich für Investoren aus dem privaten Sektor eine abschreckende Wirkung ergibt."

Anregungen: "Sie [die Kommission] sollte ... ermitteln, auf welchen transeuropäischen Korridoren ein erheblicher Bedarf besteht oder in Zukunft erwartet wird. Soweit erforderlich sollten dabei die sich auf die europäische Dimension beziehenden Kenntnisse ausgebaut und die analytischen Grundlagen verbessert werden. Sie sollte...sicherstellen, dass sich die Entscheidungen über die Zuweisung der TEN-V-Mittel auf fundierte Analysen wichtiger Engpässe stützen [und] ... sollte dafür sorgen, dass bei der Genehmigung kohäsionspolitischer Projekte solide Verfahren zum Einsatz kommen und dass im Rahmen der TEN-V-Auswahlverfahren die Qualität der vorgenommenen Kosten-Nutzen-Analysen verbessert wird."