Tokyo Sommerreise Tag eins - Dorothée Menzner
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- 8 Juli 2012
Bei den "Müttern von Fukushima"
Nach einem ziemlich nervenaufreibenden Flug inkl. einem unfreiwilligem Zwischenstopp in Moskau von 28 Stunden sind wir am Samstagnachmittag dann endlich in Tokyo gelandet. Die große Anti- Atom Demo am Freitagabend haben wir damit verpasst, aber da hier wie man uns sagt inzwischen täglich demonstriert wird, werden wir sicher noch Gelegenheit haben uns zu beteiligen.
Wenigstens sind wir noch rechtzeitig für die Filmvorführung bei den „Müttern von Fukushima“. Der Raum ist brechend voll. Hinten ist eine Spielecke für die Kinder eingerichtet während Mütter, Väter aber auch Journalisten dem Film gebannt folgen und anschließend intensiv mit uns diskutieren. Es erzeugt etwas Verwunderung wieso ausgerechnet zwei Deutsche so intensiv mit dem Thema befassten und es bedarf Erklärungen von unserer Seite um deutlich zu machen, dass Fukushima auch für Deutschland und dort speziell die Anti-AKW-Bewegung ein Schock war und bewegt - bis heute.
Und zum anderen, dass beide Ländern nicht nur beide hoch industrialisiert sind und als Mitglieder der G7 global ähnliche bedeutsame Rollen spielen, sondern dass auch die Mechanismen der Profitmaximierung, des Herunterspielens aber auch der Abhängigkeit der Politik von der Ökonomie und von großen Unternehmen sehr vergleichbar sind. Letztlich haben wir es bei genauem Hinsehen ja sogar mit den gleichen Profiteuren, den gleichen Geldgebern und Produzenten der Elemente für diese Hochrisikotechnologie zu tun.
Zweite Erkenntnis der zahlreichen Besucher die sie gewinnen, und da ist es mal wieder offensichtlich hilfreich dass wir eine Sichtweise von außen hineintragen, ist, dass Atombombe und Atomenergie die zwei Seiten der gleichen Münze sind. So hat das in Japan vor dem 11.3.2011 niemand gesehen und auch jetzt wird das den Menschen nur langsam bewusst. Unser Film scheint daran einen Anteil zu leisten.
Mich bewegt besonders, dass eine ältere Dame nach dem Film auf mich zukommt und mir die Sichtweise von Prof. Yuki Tanaka bestätigt, nach der eines der Grundprobleme sei dass die Japaner ihre Geschichte bis heute nur sehr unzulänglich reflektiert und aufgearbeitet haben und dies mit ein Grund dafür wäre, dass es Japan nicht gelingt eine Zukunftsvision zu entwickeln. Eine Sichtweise die mir zwar sehr einleuchtet die ich aber immer sehr weitgehend fand. Ich hätte mich nie getraut solch eine Aussage zu treffen und war mir immer sehr unsicher, wie Japaner auf sie reagieren. Aber da sie ein Japaner tätigt können die Menschen sie annehmen, zumindest als Denkanstoß.
Spannend ist auch The Japan Times, die ich zum Frühstück lese. Erstens wird in einer ziemlich kurzen Notiz über das Ergebnis der parlamentarischen Untersuchungskommission zu dem Unglück von Fukushima berichtet. Dieser Bericht umfasst rund 600 Seiten und ist vor zwei Tagen vorgestellt worden. Bisher gibt es nur eine englische Zusammenfassung, aber wenn der Bericht in Gänze vorliegt werde ich mich nochmal intensiver mit ihm beschäftigen müssen. Aber das eigentlich spannende ist, was die Politik und mit ihr die Journalisten als wesentliches Ergebnis herausstellen. Sie bemängeln Fehler, Schlamperei und Inkompetenz sowohl bei den verantwortlichen Behörden als auch bei TEPCO, stellen aber die Technik der Atomspaltung nicht als solche in Frage. Der Schluss ist eher dass man Lehren ziehen müsse, dergestalt dass diese Technik nur mit einer hohen Sicherheitsphilosophie, Disziplin aller Akteure und auch Transparenz gegenüber den Bürgern zu betreiben wäre. Dies hätten schon Three Miles Island aber auch Tschernobyl gelehrt und Japan müsse nun seine Lektion lernen und dies umsetzen.
Ein für mich sehr befremdlicher Eindruck entsteht, als ich die nächste Seite der Zeitung aufschlage. Ein mehr als einseitiger Bericht unter der Überschrift „Okinawas erste Atomwaffenverantwortlichen brechen das Schweigen“ über die jungen Soldaten, die 1962 als erste die neu in Okinawa stationierten US Atombomben zu warten und zu verwalten hatten. Breit wird aufgerollt, dass im kalten Krieg der in dieser Phase immer wieder akut gefährdet war ein heißer zu werden, Japan als nukleares Bollwerk gegen den asiatischen Kommunismus den USA und mit ihnen seinen Verbündeten und damit auch den Japanern notwendig schien, dass sich die japanische Regierung aber in der noch frischen Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki außerstande sah selber Atomwaffen durchzusetzen und auch anfänglich große Bedenken gegen eine amerikanische Stationierung hatte, letztendlich aber nachgab.
Ich kann noch nicht einordnen, wieso gerade jetzt solche Artikel erscheinen und wie präsent das Wissen über diese Waffen in der japanischen Bevölkerung ist. Das zu hinterfragen nehme ich mir vor.