DB Spitzelaffäre - Hintergrund

Vorbemerkungen zu den Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. zur DB Spitzelaffäre


Vorbemerkung aus der ersten Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
(zur Vorbemerkung aus der zweiten Kleinen Anfrage)

Unter dem Bahnvorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn „unterzog (…) die Bahn im Zuge von Korruptionsbekämpfung ihre Beschäftigten systematisch einer Rasterfahndung“ (Stern vom 2. April 2009). Die Daten von mehr als 170 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden mit Tausenden Partner-Firmen abgeglichen.
Dabei gab es im Zeitraum 2000 bis 2008 „mehrere Wellen solcher Screenings – ohneWissen von Belegschaft und Betriebsrat“ (Welt kompakt vom 26. März 2009). Der größte Teil dieser Ausspähaktionen wurde von dem Unternehmen Network Deutschland GmbH duchgeführt, das lediglich auf Basis von mündlichen Vereinbarungen aktiv war (Bericht des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 28. Oktober 2008).
Es ging bei den verschiedenen Bespitzelungen in einigen Fällen auch darum, Kritiker der Bahnprivatisierung zu identifizieren. „Bei der Aktion ,leakage‘ wollten die konzerninternen Sicherheitsleute wissen, ob Bahnmitarbeiter Journalisten oder Kritiker des geplanten Bahnbörsengangs mit Informationen versorgten (…). Von März 2005 bis Oktober 2008 wurden täglich rund 145 000 Mails automatisch auf bestimmte Adressaten hin kontrolliert. Eine elektronische Streikinfo der Bahngewerkschaft GDL fischte das Unternehmen aus dem Verkehr.“ (Stern vom 2. April 2009). Im Mai 2009 wurde bekannt, dass die Bahn im gleichen Zeitraum mindestens 1,3 Mio. Euro für versteckte Werbung zugunsten des Bahnbörsengangs in Medien, für Blogs und Internet-Foren ausgab.
In diesem Zusammenhang wurde durch die von der DB AG bezahlte Agentur EPPA die Website  „meinebahndeinebahn.de“ aufgebaut, die sich als Bürgerinitiative für die Bahnprivatisierung und faktisch als börsenfreundliches Gegenstück zur Website www.deinebahn.de der Kritikerinnen und Kritiker des Bahnbörsengangs, dem Bündnis „bahn für alle“, ausgab (AP vom 28. Mai 2009).
Die letztgenannten manipulativen Maßnahmen waren – so Bahnchef Rüdiger Grube – „mit dem Grundsatz eines transparenten Dialogs mit der Öffentlichkeit in keiner Weise vereinbar“ (AP vom 28. Mai 2009). Die zuvor skizzierten Ausspähaktivitäten waren offensichtlich gesetzeswidrig. Die Verantwortlichen bei der Bahn waren sich dessen bewusst und versuchten Belege zu vernichten: „Im Verkehrsausschuss des Bundestags erklärten KPMG-Sonderermittler, dass Wolfgang Schaupensteiner (Anm.: der damalige Korruptionsbeauftragte der DB AG) (…) am 20. Januar (2009) die Vernichtung der ,Ereignisdatenbank Ermittlungen‘ angeordnet (habe), in der seit 2001 alle Fälle von Verstößen gegen Unternehmensrichtlinien erfasst wurden.“ (Stuttgarter Zeitung vom 29. Mai 2009).
Da der damalige Vorstand der Deutschen Bahn AG nicht gewillt war, die erforderliche Aufklärung zu organisieren, entzog der Aufsichtsrat des Konzerns am 18. Februar 2009 dem Vorstand diese Aufgabe und beschloss eine Sonderermittlung unter Führung des Aufsichtsrats, ausgeführt durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sowie die beiden ehemaligen Minister und Juristen Gerhard Baum und Herta Däubler-Gmelin. Ende März 2009 trat Hartmut Mehdorn als Folge der Datenaffäre als Vorstandsvorsitzender der DB AG zurück.
Am 13. Mai 2009 stellte der Aufsichtsrat die Empfehlungen der Sonderermittler zur Abstimmung. Unter anderem wurde dabei beschlossen, dass der neue Vorstand in Verantwortung des Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube die umfassende und vollständige Aufklärung aller Aspekte der Affäre übernimmt und abschließt. Die Sonderermittler hatten mitgeteilt, dass sie zum Stichtag der Berichtsabfassung sehr viele Unterlagen noch nicht gesehen hatten. Im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung konstatierte der neue Bahnchef Rüdiger Grube am 20. Mai 2009, dass noch viele Unterlagen ungesichtet sind und dringend weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Auf der Sitzung desselben Ausschusses vom 24. Februar 2010 äußerte Rüdiger Grube die Hoffnung, dass die Untersuchungen in der Datenaffäre „möglichst schnell abgeschlossen werden“.

 

Vorbemerkung aus der ersten Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE.

„Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie: einen Staatskonzern, der mit illegalen Methoden in großem Ausmaß gegen Datenschutzgesetze und Persönlichkeitsrechte verstößt.“ So lauten die einleitenden Sätze zum Kapitel „Besser als die Stasi – wie die Bahn ihre Mitarbeiter ausspähte“ im Schwarzbuch Deutsche Bahn von Christian Esser und Astrid Randerath (München 2010, S. 133 ff.). In den Jahren 1998 bis Anfang 2009 wurden bei der Deutschen Bahn AG (DB AG) Hunderttausende persönliche Daten von 170 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern illegal erhoben. Vordergründig ging es um Korruptionsbekämpfung.
Faktisch sprechen das Ausmaßder Bespitzelung und viele einzelne Aktivitäten im Rahmen dieser Flächenrasterung für eine andere Interpretation.
Es sollten auch die Masse der Bahnmitarbeiter eingeschüchtert und diszipliniert und Kritiker der Bahnprivatisierung in der Belegschaft und Kontakte von Bahnmitarbeitern mit Kritikern des Bahnbörsengangs identifiziert werden. „Bei der Aktion ,leakage‘ wollten die konzerninternen Sicherheitsleute wissen, ob Bahnmitarbeiter Journalisten oder Kritiker des geplanten Bahnbörsengangs mit Informationen versorgten […].VonMärz 2005 bis Oktober 2008 wurden täglich rund 145 000 Mails automatisch auf bestimmte Adressaten hin kontrolliert.“ (stern vom 2. April 2009). Der Vertreter der KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft, Frank M. Hülsberg, konkretisierte am 27. Mai 2009 auf der Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages sinngemäß, es habe in der Zeit von 2004 bis 2008 eine sogenannte E-Mail-Logfile-Filterung gegeben, wo anlassbezogen diese Logfiles nach bestimmten Schlagworten durchsucht worden seien. Bei der Schlagwortliste sei es zu Hinzufügungen und auch Streichungen gekommen. Der neue Bahnchef Dr. Rüdiger Grube teilte auf derselben Sitzung mit, dass er über eine Liste mit den Namen, nach denen der E-Mail-Verkehr durchsucht wurde, verfügen würde. Er schlug dort vor, vorab diejenigen zu kontaktieren, die auf der Filterliste stehen, bevor man mit der Liste möglicherweise an die Öffentlichkeit gehe.
Der Journalist Günter Wallraff berichtete in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ (Ausgabe vom 23. April 2009) darüber, dass die Anzahl von Kündigungen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn ab dem Zeitpunkt anstieg, als „Hartmut Mehdorn den großen strategischen Plan durchsetzen wollte, die Bahn an die Börse zu bringen“. Eine größere Zahl von Bahnbeschäftigten, die den Bahnbörsengang kritisch sahen, seien „nach der Ausforschung ihrer Arbeitscomputer entlassen“ worden. Die Personalabteilung der Bahn habe dabei Kündigungen „häufig mit E-Mails [begründet], die die Betroffenen verfasst haben sollen – entweder sei der Inhalt des elektronischen Briefes gegen die Bahnprivatisierung gerichtet gewesen oder der Adressat sei als Gegner der Bahnprivatisierung bekannt, sei womöglich gar Journalist gewesen.“ Bei einigen derjenigen, denen – zum Teil erfolglos – gekündigt wurde, hätten sich auf deren Arbeitscomputer tierpornografische Inhalte bzw. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ befunden, Material, das mutmaßlich durch Manipulationen Dritter auf die PCs der Betroffenen gelangte. Auf der angeführten Ausschusssitzung vom 27. Mai 2009 erklärte ein Vertreter der Kanzlei Baum, Reiter & Collegen, in technischer Hinsicht habe sich derWallraff-Bericht bestätigt. Die Sonderermittler hätten die Akten dazu angefordert, diese jedoch bis Ende ihrer Ermittlungen nicht erhalten.
15 Monate nach demWechsel an der Bahnspitze spricht Einiges dafür, dass das Ausmaßder Bespitzelungen weit größer war, als bisher bekannt ist, dass die Weiterungen des Skandals auch von der neuen Führung des Konzerns nicht öffentlich gemacht werden und dass Topmanager, die für die illegalen Maßnahmen mitverantwortlich waren, im Bahnkonzern weiter Führungspositionen innehaben und zum Teil Karrierestufen nach oben rückten.
Im Juni 2010 bestätigte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/2229) erstmals, dass bei der DB AG mehrere Räume einer „Datenquarantäne“ eingerichtet wurden, in denen „alle unzulässig erhobenen Daten (…) verbracht“ worden sind. Daniela Kuhr berichtete in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) über die Kleine Anfrage und die Antwort der Bundesregierung auf dieselbe unter der Überschrift „Die Geheimräume der Bahn“ (Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2010). Daniela Kuhr schrieb dabei über „acht Räume“ in der Bahnzentrale mit „geheimen Akten und Unterlagen, die keiner der Sonderermittler je zu Gesicht bekommen hat“, und darüber, dass „diese Daten in Kürze gelöscht zu werden [drohen]“. Die Autorin bzw. die Zeitung geht davon aus, dass „eine vollumfängliche Aufarbeitung der Affäre, wie Grube sie immer versprach, dann nicht mehr möglich“ sein würde. Zitiert werden in dem Bericht auch Aussagen, wonach nach Auffassung des Bahnvorstands „nur der Staatsanwalt oder Opfer der Datenaffäre Zutritt“ zu den Räumen mit dem Material zur Datenaffäre, nicht aber die Sonderermittler haben sollten. In ihrer Antwort zu den Fragen 20 bis 25 der Kleinen Anfrage führte die Bundesregierung aus: „Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist darauf verzichtet worden, ein Inhaltsverzeichnis der eingelieferten Daten und Unterlagen zu führen.“ Inwieweit die Staatsanwaltschaft über die Kapazität verfügt, das Material in der Datenquarantäne zu sichten, ist unklar. Das fehlende Inhaltsverzeichnis (Register) verunmöglicht eine gezielte Einsichtnahme in jedem Fall. Opfer wiederum haben keine Möglichkeit, einen Zutritt zu den Datenquarantäneräumen zu verlangen, da sie keine Kenntnis davon haben können, dass in diesen Unterlagen zu ihrer Person gelagert sind. Im Übrigen wäre es offenkundig nicht möglich für Außenstehende nachzuvollziehen, wenn Unterlagen vernichtet bzw. Daten gelöscht wären bzw. würden.