Sunny skies ahead? Fragen an die Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
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- 16 Januar 2017
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016 formuliert keine politische Idee einer besseren Zukunft für alle. Sie ist kein Versuch, die Ursachen der vielfältigen Krisen zu benennen und anzugehen, die Politik und Denken zunehmend im Griff halten. Aus ihr spricht vielmehr eine politische Selbstversicherung derer, die beschlossen haben, unter dem Motto „no business as usual“ genau so weiterzumachen wie bisher, in dem Bewusstsein, dass die wirklichen Anpassungsleistungen von anderen und an anderer Stelle wesentlich früher erzwungen werden.
Jetzt ist sie also da, die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in ihrer Neuauflage 2016. Neuauflage 2016, das bedeutet in erster Linie eine umfangreiche Überarbeitung der 2002 erstmals aufgelegten Strategie im Lichte der 2015 verabschiedeten UN Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.
Mit Blick auf Forderungen nach mehr und echter Beteiligung sowie hinsichtlich der Kapazitäten, der institutionellen Gestaltung und Vernetzung von Nachhaltigkeitsakteuren innerhalb der Bundesregierung, in die Gesellschaft hinein und zwischen den Ebenen hat sich etwas getan gegenüber dem im Mai 2016 veröffentlichten Entwurf. Die Indikatoren zur Gewässerqualität, zu Nährstoffeinträgen in Küstengewässer und Meere oder zur Eutrophierung von Ökosystemen verweisen auch auf Quellen und Verursacher und sind so durchaus geeignet, auch in der politischen Praxis einen ganzheitlicheren Ansatz und mehr Kooperation zu fördern, vielleicht sogar transformative Impulse zu setzen. Und auch der Indikator „Überlastung durch Wohnkosten“ sowie die geplanten oder in Prüfung befindlichen Indikatoren zu Lebensmittelverschwendung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und zum Bodenschutz sind Ansätze, Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe verstehen und bearbeiten zu wollen.
Gleich im Einleitungstext wird betont, wie gut Deutschland auf Grund seiner Innovationsstärke, seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der gesellschaftlichen Sicherheit und der hohen Sozial- und Umweltstandards gerüstet sei, die Agenda 2030 ambitioniert umzusetzen, und man fügt hinzu, dass diese Eignung auch eine Verpflichtung mit sich bringe, über die eigenen Grenzen hinaus wirksam zu werden. Wie schon Karl Falkenberg, Berater für nachhaltige Entwicklung des kommissionseigenen Thinktanks „European Political Strategy Centre“, in seinem Bericht von Nachhaltigkeit als einer europäischen Marke sprach, so spricht die Bundesregierung von „Sustainability made in Germany“ (S. 11). Die EU-Kommission beschloss, die Idee von Nachhaltigkeit als europäischer Marke mit Blick auf die Umsetzung der SDGs für sich so zu interpretieren, dass es vor allem um die Anpassung der Anderen an eine nun globalisierte europäische Agenda gehe. Die Bundesregierung bleibt an dieser Stelle zurückhaltender, nimmt jedoch auch eine wichtige Weichenstellung vor: „Sustainability made in Germany“, das bedeutet Orientierung an Nachhaltigkeit im Sinne wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Der Kampf um nachhaltige Entwicklung wird auch weiter auf den internationalen Märkten gewonnen. Oder verloren.
Interessant auch der Zusatz: „Weg in eine enkelgerechte Zukunft“ (S. 11). Enkelgerecht, das legt den Fokus auf die Verantwortung gegenüber der nächsten Generation, das klingt nach Nähe, nach Familie, nach klaren Zugehörigkeiten und Verpflichtungen. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen. Zu sagen aber ist, was damit tendenziell ausgeblendet wird: Gerechtigkeit auch für die und zwischen den Menschen heute, die Herausforderung, Gerechtigkeit über das Nahe und Bekannte hinaus herzustellen, in der Komplexität und Widersprüchlichkeit einer globalen Welt.
Der Blick auf die Liste der Indikatoren und Ziele, dem Steuerungsinstrument der Strategie, das „eine objektive Kontrolle des Stands der Entwicklung ermöglichen“ soll, verstärkt den Eindruck, dass das Grundproblem der Nachhaltigkeitsstrategie darin liegt, dass sie sich an den entscheidenden Stellen herauswindet. Dass sie zu viel verschweigt, um zu einem politischen Konzept für eine Transformation unserer Welt zu kommen. Wenn man von 63 Schlüsselindikatoren, die „relevanten Handlungsbedarf“ auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft in Deutschland, durch Deutschland, und mit Deutschland in der Welt identifizieren und die „politischen Schwerpunktsetzungen für eine ambitionierte Umsetzung der Agenda 2030 und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitspolitik“ abbilden sollen (S. 34f.), 21 wählt, die (nahezu) erreicht werden, macht man nur weiter wie bisher, dann spricht das zunächst weder notwendigerweise gegen die Eignung dieser Indikatoren, noch gegen den Willen, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Allerdings sagt es viel über das Verständnis von Transformation, das der Strategie, der Politik, aus der sie entstanden ist, und der Politik, die aus ihr resultieren wird, zugrunde liegt.
Wäre es nicht sinnvoll, bzw. dem Anspruch „ambitioniert“ angemessen gewesen, genau jene Bereiche herauszugreifen, in denen deutsche Politik herausgefordert ist, und in denen gerade deshalb das größtmögliche Transformationspotential besteht? Wäre es nicht an der Zeit gewesen, endlich von der Frage auszugehen: Welche Zukunft wollen wir? Und was steht dieser Zukunft entgegen? Was hier formuliert wurde, ist keine politische Idee einer besseren Zukunft für alle, kein Versuch, die Ursachen der vielfältigen Krisen zu benennen und anzugehen, die Politik und Denken zunehmend im Griff halten. Aus diesem sonnigen Indikatorentableau spricht vielmehr eine politische Selbstversicherung derer, die beschlossen haben, unter dem Motto „no business as usual“ genau so weiterzumachen wie bisher, in dem Bewusstsein, dass die wirklichen Anpassungsleistungen von anderen und an anderer Stelle wesentlich früher erzwungen werden.
Denn was bedeutet die Anerkennung der Tatsache, dass nachhaltige Entwicklung nicht an den Staatsgrenzen aufhört (S. 35), wenn in einer Zeit voll von Kriegen, Gewalt und Hass die Indikatoren zu SDG 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen allesamt auf sonnig stehen, weil etwa statt der Beendigung deutscher Waffenexporte die „Anzahl der in betroffenen Weltregionen durchgeführten Projekte zur Sicherung, Registrierung und Zerstörung von Kleinwaffen und leichten Waffen durch Deutschland“ zum Maßstab gemacht wird und man sich bei der Korruptionsbekämpfung mit dem Ziel „Verbesserung“ zufrieden gibt? Wenn der einzige Indikator, der unter SDG 16 eine „Entwicklung in die falsche Richtung“ abbildet, die Zahl der Straftaten in Deutschland erfasst? Leistet die Strategie damit nicht genau jenem Narrativ Vorschub, mithilfe dessen wir Abschottung zu einer legitimen Antwort auf globale Ungerechtigkeit machen? Und was bedeutet die Anerkennung internationaler Verantwortung, wenn Fortschritte auf dem Weg zu menschenwürdiger Arbeit weltweit an einer „signifikanten Steigerung“ der Anzahl der Mitglieder in dem auf Freiwilligkeit beruhenden Textilbündnis gemessen werden?
Was bedeutet die Einsicht, dass „in den kommenden 15 Jahren (…) noch stärkere Anstrengungen als bisher erforderlich sein (werden), um alle benachteiligten Menschen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen und steigender Ungleichheit entgegenzuwirken“ (S. 23), wenn Daten nicht konsequent so aufgeschlüsselt werden, dass menschenrechtlich relevante Gesichtspunkte und mögliche Zusammenhänge zu sozialen Ungleichheiten sichtbar werden? Wenn die Strategie eine Politik befördern will, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und sich zumindest dem Anspruch der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet, dann müssen bspw. Indikatoren in den Bereichen Bildung, Perspektiven für Familien, Gleichstellung, Beschäftigung, aber auch Luftbelastung Aussagen zur sozialen Verteilung zu machen. Wie geht das Ziel, niemanden zurückzulassen, einher mit der Tatsache, dass man gegenüber dem Entwurf vom Mai 2016 nur noch den GINI-Koeffizienten „Einkommen nach Sozialtransfer“, nicht aber der Vermögensverteilung als Maßstab setzt? Und wie groß ist der transformatorische Impuls, der von einem Indikator „Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft“ ausgehen kann?
Warum werden unter SDG 7: Bezahlbare und saubere Energie die Themen „Zugang“ und „bezahlbar“ gar nicht berücksichtigt, weder national noch mit dem eigentlich geforderten Blick über die Grenze? Warum wird das Thema Staatsverschuldung mit drei Indikatoren umfangreich abgebildet, während SDG 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur mit einem einzigen Indikator „Innovation“ auskommen muss, der bis auf weiteres weder ergebnis- noch prozessbezogene Aussagen erlaubt? Müsste das Nachhaltigkeitspostulat „Zukunft mit neuen Lösungen gestalten“ nicht wenigstens auch die Frage nach demokratischer Beteiligung stellen? Und wo bleibt hier der Blick über die Grenze? Wie geht es zusammen, die planetaren Grenzen unserer Erde und die Orientierung an einem Leben in Würde für alle als „absolute Leitplanken für politische Entscheidungen“ anzuerkennen (S. 12), aber das BIP nach wie vor zur einzigen Maßzahl für Wohlstand heranzuziehen?
Die Antwort ist in diesem Falle leider schlicht und einfach: Gar nicht. Es geht nicht zusammen.
„Es wissen ja alle“, stellte kürzlich Bundespräsident a.D. Horst Köhler in einer vielbeachteten Rede fest, „dass bestimmte Transformationsaufgaben nicht mit inkrementellen Verbesserungen, sondern nur mit einem klaren Richtungswechsel zu schaffen sind. Und doch druckst man herum anstatt sich ehrlich zu machen, dennoch wird aufgeschoben anstatt angepackt.“ Wo also sind die Indikatoren, die auf die strukturellen Fragen weisen? Die statt auf Kontinuität auf Brüche setzen? Die den Finger in die Wunden legen, die unsere politischen Entscheidungen und Lebensweisen anderswo verursachen? Eine Nachhaltigkeitsstrategie jedenfalls, die in ihren Zielen, also darin, woran sie sich messen lassen will, worauf sie die Aufmerksamkeit lenkt, weder Soziales noch internationale Verantwortung durchgängig integriert, kann keine transformative Politik, nein, nicht einmal eine nachhaltige Politik befördern.