Ökologie für alle: Wer den umfassenden grünen Wandel will, darf das rote Projekt der Gleichheit nicht vergessen.
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- 1 Juli 2011
Eine wahre Flut von Energiegesetzen ist durch den Bundestag gerauscht. Atomausstieg, Netzausbau, neue Regeln für erneuerbare Energien, Anreize für energetische Gebäudesanierung – das waren und das bleiben wichtige Themen. Aber künftig muss viel stärker als bisher ein zentrales Thema hinzukommen: wie ist der notwendige Umbau des Energiesystems und der gesamten Wirtschaft auf soziale Weise zu schaffen? Gregor Gysi hat sich seine Gedanken gemacht und fordert „Ökologie für alle“. Sein gleichnamiger Essay ist in diesen Tagen in „clara“, dem Fraktionsmagazin der LINKEN, erschienen.
Es gibt Zahlen, die eigentlich erschreckend sind, aber dennoch abstrakt wirken. Klimaforscher berichten von einem neuen Rekord. Die Menschheit hat im vergangenen Jahr 30,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. So viel wie noch nie. Geht das so weiter, dürfte das offizielle Ziel, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, kaum noch zu erreichen sein. So wird die Erde zu einem ungemütlichen Planeten.
Einen Aufschrei gibt es dennoch nicht. Die Zyniker dieser Welt haben dafür eine einfache Erklärung: Nicht Informationen, sondern Katastrophen belehren die Menschheit. Erst wenn, wie in Fukushima, die tödlichen Folgen falscher Entscheidungen nicht mehr zu leugnen sind, gibt es eine Chance für mehr Vernunft. Zynismus mag manchmal schlau klingen, ist aber ein schlechter Ratgeber. Denn angesichts der ökologischen Herausforderungen gilt das kategorische Gebot vorausschauenden Handelns. Und dabei geht es um fundamentale Alternativen. Kleine Korrekturen auf dem bisherigen industriellen Pfad oder entschlossener Übergang zu einer klima- und naturverträglichen Produktionsweise? Gewaltsamer Kampf um Ressourcen oder deutliche Senkung des Rohstoffverbrauchs und schrittweiser Abschied vom Öl, um Konflikte einzudämmen? Weiteres Schmieren der blinden Wachstumsmaschinerie oder zielgerichteter Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft?
Diese Fragen durchdringen allmählich die politische Agenda, international und auch bei uns. Union und FDP würden die großen Herausforderungen gern kleinreden. Die SPD bleibt wie gewohnt kopflos. Die Grünen konzentrieren sich auf technische Veränderungen und schwärmen von einer neuen, von grünen Investitionen getragenen Welle des Wachstums, einem »Green New Deal«. Dabei setzen sie – wie die anderen Parteien – voraus, dass die Wirtschaftsordnung trotz der ökologischen Gefährdungen keiner grundlegenden Erneuerung bedarf.
DIE LINKE unterstützt alle Schritte in die richtige Richtung. Sie sagt aber auch: Das gesamte Arsenal systemkonformer Öko- und Effizienzstrategien kann nur begrenzte Wirkungen haben, wenn auf den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verzichtet wird. Deshalb ist die ökologische Frage auch eine Systemfrage. Was das bedeutet, kann an drei Thesen gezeigt werden.
Erstens: Je gerechter Einkommen, Vermögen und Arbeitszeiten verteilt sind, desto stärker wird die Bereitschaft, den ökologischen Umbau voranzutreiben.
Gerechtigkeit ist ein zentrales ökologisches Thema. Denn jede Verteuerung des Ressourcenverbrauchs stößt schnell an Akzeptanzgrenzen, weil höhere Preise Normalverdienerinnen und -verdiener spürbar treffen, Reiche dagegen kaum. Deshalb müssen alle, die es ernst meinen mit der Ökologie, die Verteilungsfrage stellen, die oberen Einkommen kappen und die unteren stärken. Das Gegenteil zu tun, war das große Versagen von Rot-Grün und nachfolgender Koalitionen. Wer die Ungleichheit massiv vorantreibt, wer Millionen Menschen die Planungsgrundlage fürs alltägliche Leben raubt, verbreitet Angst statt Zuversicht.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Je gerechter und deshalb geringer die Einkommensunterschiede, desto mehr kann die Ressourcenverschwendung eingedämmt werden, desto größer werden die Einspareffekte. Derselbe Zusammenhang gilt auch für Vermögen und Arbeitszeiten. Je mehr die notwendige Veränderung von Lebens- und Produktionsgewohnheiten ein gemeinsames Anliegen ist, desto größer wird die Motivation, daran selbst mitzuwirken. Belegschaftsmiteigentum an den größeren Unternehmen und eine Arbeitsmarktpolitik, die nicht ausgrenzt, gehören zwingend zu einem ökologischen Programm.
Zweitens: Je mehr der Markt ökologisch versagt, desto stärker muss die politische Lenkung volkswirtschaftlicher Strukturen sein.
Markt und Wettbewerb sind Geburtshelfer von Innovationen und betriebswirtschaftlicher Effizienz. Die heutige Wirtschaftsweise kann, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine breite Palette sinnvoller Produkte hervorbringen: energieeffiziente Häuser, verbrauchsarme Autos, Bio-Nahrungsmittel. Aber die Summe all dieser punktuellen Verbesserungen ist noch längst keine gesamtökologische Rationalität. Deshalb ist es an der Zeit, einen entscheidenden Schritt weiterzugehen.
Wir brauchen nicht nur Elektromobile, sondern eine Renaissance preisgünstiger öffentlicher Verkehrssysteme, die es erlauben, den Pkw-Verkehr in Metropolen zu halbieren. Wir brauchen nicht nur schicke Öko-Gebäude, sondern auch lebenswerte und erschwingliche Stadtquartiere, die Arbeit und Wohnen wieder zusammenbringen. Wir brauchen keinen ressourcenfressenden Luxuskonsum, sondern mehr kulturelle und soziale Dienstleistungen, die kaum Natur verbrauchen, aber spürbar den Wohlstand steigern. Verallgemeinert könnte man sagen: Wir müssen die ökologischen Effekte aufspüren und verwirklichen, die im Systemischen liegen.
Das aber verlangt die Fähigkeit zur Vision und politische Entschlossenheit. Wer nicht den Mut hat, Infrastrukturen umzubauen und im ökologischen Interesse angestammte Eigentumsprivilegien anzutasten, springt zu kurz. Das häufig genannte Argument, dass die Politik nicht schlauer sein könne als der Markt, mag bei einzelnen Technologien zutreffen. Für das Ressourcenproblem insgesamt ist dieses Argument sicher falsch, wie sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung indirekt zugibt, wenn sie ein Energiekonzept mit dem Planungshorizont von 40 Jahren vorlegt. Ohne politische Lenkung – das zeigen die früheren Erfahrungen intensiven Strukturwandels – ist ein zügiger Umbau wirtschaftlicher Aktivitäten nicht möglich. Außerdem: Am Markt können ökologische Produkte gefragt sein, aber die Ökonomie entscheidet oft, sie nicht ökologisch herzustellen. Gesetzliche Vorgaben sind dabei wichtig. Aus dem gescheiterten Staatssozialismus konnte man aber lernen – und das ist im Kapitalismus nicht anders –, dass juristische Gesetze immer schwächer sind als ökonomische Gesetze. Deshalb muss das Gemeinwesen auch in eigener Regie, mit eigener wirtschaftlicher Kraft handeln können.
Daraus folgt drittens: Je stärker der öffentliche Sektor, desto größer die Chance, ökologische Politik auf direktem Weg zu verwirklichen.
Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Energiepolitik zeigen: Die geballte Macht großer Konzerne ist nicht zu tolerieren. Sie verzögern, drohen, täuschen und halten sich ihre parlamentarischen Gewährsleute. Die Alternative dazu liegt auf der Hand: saubere, möglichst dezentral erzeugte Energie in kommunaler Hoheit und in Kombination mit starkem bürgerschaftlichen Engagement und öffentlich kontrollierten Netzen. Mittlerweile gibt es hunderte Städte und Gemeinden, die praktisch demonstrieren, wie die regenerative Energiewende gelingen kann.
Mehr soziale Gerechtigkeit, ökologische Lenkung von Infrastrukturen und ein handlungsfähiger öffentlicher Sektor – diese drei Grundsätze sind für Linke unverzichtbar. Nur mit ihnen wird eine Veränderung unserer Lebensweise möglich, die von den Bürgerinnen und Bürgern auch akzeptiert wird. Wer den umfassenden grünen Wandel will, darf das rote Projekt der Gleichheit nicht vergessen.
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