Gorleben: Nichts hat sich geändert

Schon vor 30 Jahren hatte der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum damit zu kämpfen, dass neben Niedersachsen kein anderes Bundesland bereit war, nach einem Atom-Endlager zu suchen. Vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss wirkt die Zeitreise mit dem Zeugen Baum höchst aktuell.

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Gerhart Baum ist heute vielen als engagierter Rechtsanwalt ein Begriff, als jemand, der sich schon für so manche Gruppierung eingesetzt hat, der Schlimmes widerfahren ist: NS-Zwangsarbeiter, Katastrophenopfer, Spekulantenopfer. Er war zudem einer der Beschwerdeführer gegen den Großen Lauschangriff und gegen die Vorratsdatenspeicherung. Doch Baum war auch einmal Bundesinnenminister, vier Jahre lang – von 1978 bis 1982. Es ist genau diese Phase, die der Untersuchungsausschuss Gorleben derzeit behandelt, denn da sind die wichtigsten Entscheidungen zu Gorleben aufs Gleis gebracht worden.

Regierung unter Zugzwang

Die Bundesrepublik hatte Ende der 1970er Jahre noch kühne Pläne: Nicht weniger als 55 AKW plante man zu bauen in den kommenden Jahrzehnten, die sozialliberale Koalition befürwortete mehrheitlich die Atomkraft, doch gleichzeitig war von ihr die Entsorgungsvorsorge gesetzlich verankert worden. Das hieß, die Kraftwerksbetreiber mussten einen Nachweis für abgebrannte Brennelemente erbringen. Das erzeugte politischen Druck, denn ohne zumindest die Aussicht auf ein Atommülllager – damals knüpfte die Regierung auch noch Hoffnungen an die Wiederaufbereitung von Brennstäben – ohne zu wissen wohin mit dem Müll, standen die Genehmigungen von neuen AKW in Frage.

Dafür, dass Niedersachsen Gorleben ins Spiel gebracht hatte, müssen die Atompolitiker und die Wirtschaft dem damaligen Ministerpräsidenten Albrecht (CDU) unendlich dankbar gewesen sein. An dieses Pfand konnte Niedersachsen von nun an Bedingungen knüpfen – erstens: Erkundung Gorlebens allein nach Bergrecht, möglichst ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, zweitens: kein anderer Standort in Niedersachsen. Also waren auch andere Bundesländer gefragt, weitere Standorte für ein Endlager zu ermöglichen. Doch „die Bundesländer wollten nicht ums Verrecken einen Standort in Aussicht stellen“, so erzählt es der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) vor dem Untersuchungsausschuss. Sein Ressort war damals für das Thema Strahlenschutz, Genehmigungen von Atomkraftwerken und Endlagersuche zuständig, ein Bundesumweltministerium gab es noch nicht.

König ohne Königreich

1982 hatte Baum als Minister in einer  Bundestagsdebatte gesagt: "Ich kann nicht mehr tun, als die Bundesländer zu bitten und mit ihnen darüber zu reden - ich tue das bei jeder sich bietenden Gelegenheit - nun auch etwas im Hinblick auf Endlagerstätten in Granit oder wo auch immer zu tun. Ich habe bisher von keinem einzigen Bundesland eine positive Antwort bekommen. Ich habe kein Territorium. Ich bemühe mich aber um die Lösung der Probleme.“

Noch heute ist man in dieser Frage nicht einen Zentimeter weiter gekommen. „Mir wäre es lieber gewesen, man hätte an anderen Standorten Voruntersuchungen gemacht“, sagt Baum heute und er stand damals im Einklang mit den Bemühungen des Bundes, sich nicht allein auf Gorleben zu beschränken. Baum trat im September 1982 ab, die dann folgende Kohl-Regierung wollte von anderen Standorten nichts mehr wissen. Nachfolger Baums wurde Friedrich Zimmermann (CSU), Parteifreund des ehemaligen Atomministers Franz Josef Strauß und langer Arm des bayerischen CSU-Vorsitzenden in Bonn.

Gerhart Baum ist noch heute eng mit dem Komplex Gorleben verknüpft, wenn er dies vielleicht auch weder so wahrnimmt, noch wünschen kann. Denn er hat als Minister Ende 1981 eine zentrale Entscheidung getroffen: das Bergrecht sollte zur untertägigen Erkundung genügen. Es ist eine rätselhafte Entscheidung. Denn er selbst hatte zuvor ein Gutachten bei Professor Breuer (Universität Trier) in Auftrag gegeben, das von den beteiligten Ressorts als wichtige Entscheidungsgrundlage angesehen wurde. Die Frage, sollte man allein nach Bergrecht erkunden oder sogleich ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren einleiten, erhitzte die Gemüter. An dieser Entscheidung gab es politische Interessen. Wenn es nach Niedersachsen ging, sollte die Beteiligung der Öffentlichkeit vermieden werden. Baum wollte aber die Debatte, trat für Transparenz und Bürgerbeteiligung ein, initiierte eine zweitägige Informationsveranstaltung in Lüchow, zu der Gorleben-Befürworter wie -Kritiker eingeladen wurden. Dann kam das ersehnte Gutachten, das für die atompolitischen Hardliner ein Schlag in die Magengrube gewesen sein muss: Professor Breuer empfahl der Regierung ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren inklusive Bürgerbeteiligung. Sofort begannen die Fachreferenten in den Ministerien, allen voran Professor Heintz, der damalige Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), der vom BMI beauftragte Fachbehörde,  an dem Breuer-Gutachten nach Strich und Faden herumzumäkeln.

Rätselhafte Weichenstellung

Und was tat Baum? In der Zeugenanhörung lässt er dazu wenig heraus. Er dürfte sich damals in einer schlimmen Zwickmühle befunden haben, denn das Gutachten muss seine juristische Empfindung unterstützt haben, doch der politische Wille und der Druck aus Niedersachsen standen dem entgegen. Und so blieb Baum, der bürgerbewegte Minister, bei der Frage Atomrecht nicht standfest. Heute sagt er, es sei damals absolut rechtlich in Ordnung gewesen, nur nach Bergrecht zu erkunden. „Es war eine Güterabwägung unter dem Gesichtspunkt der Zügigkeit.“

Und so beugte er sich der Forderung aus Niedersachsen, das Atomrecht zunächst auszuklammern und damit auch die Mitsprache der Öffentlichkeit. Bis heute hat dies seine Gültigkeit. Spätere Urteile durch Verwaltungsgerichte stützten seine damalige Entscheidung. In politischer Hinsicht wurde durch die Entscheidung, die Bürger herauszuhalten das Vertrauen der Menschen im Wendland verspielt. Das ist ein Versäumnis, das – zusätzlich zu allen fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ungeeignetheit von Gorleben, die ignoriert wurden – bei den Bürgern vor Ort wohl kaum wieder gutzumachen ist. Das bekommt wohl auch Bundesumweltminister Röttgen zu spüren, der zeitgleich zur Zeugenanhörung in Berlin vor Ort in Gorleben von Transparenz und Offenheit spricht.

Keine Kenntnis von Gas

Auf die Frage der Lüchow-Dannenberger Bundestagsabgeordneten Johanna Voß von der Bundestagsfraktion Die LINKE nach den Gasvorkommen unter Gorleben, zeigte sich der Ex-Innenminister empört. Voß hatte aus einer Kabinettsvorlage der damaligen Landesregierung von Niedersachsen unter Ernst Albrecht zitiert. In diesem streng vertraulichen Papier ist am 2. Februar 1977, bereits drei Wochen vor der Standortbenennung von Gorleben, vor den Gefahren durch die Erdgasvorkommen unter dem Salzstock Gorleben gewarnt worden. Die Frage von Voß, ob die Bundesregierung von diesen Bedenken aus Niedersachsen in Kenntnis gesetzt worden wäre, hat Baum verneint. Und ergänzte, wenn das so gewesen sei, hätte Albrecht unverantwortlich gehandelt, an Gorleben festzuhalten. „Er hätte Gorleben sofort stoppen müssen!“

Baum, der sich in der sozial-liberalen Koalition 1981/82 sehr für die Verknüpfung der Betriebserlaubnis von Atomkraftwerken mit deren Entsorgungsnachweis stark gemacht hatte, kam auch hier durch eine gezielte Frage der Abgeordneten Voß in Bedrängnis. Baum hatte damals die Betriebsgenehmigung der Atomkraftwerke Isar II, Biblis C und Emsland an die sichere Behandlung und Beseitigung des Atommülls im Inland geknüpft. Auf die Frage, ob er seine damaligen Genehmigungsauflagen für diese Kernkraftwerke heute als erfüllt ansehen würde, obwohl die sichere Behandlung und Beseitigung im Inland nicht gewährleistet ist, kam der sonst souverän auftretende Ex-Minister ins Grübeln: „Das ist schwer zu sagen, darüber müsste man länger nachdenken…“

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