Antipoden von Beginn an
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- 31 Januar 2011
Zwei Zeugen der ersten Stunde sagten am 27. Januar 2011 vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss aus, beide direkt involviert in die Vorgänge rund um die Standortbenennung Gorlebens 1977, wenn auch auf gänzlich unterschiedlichen Seiten. Zwei Antipoden von Beginn an: Auf der einen Seite der damals für Atomaufsicht verantwortliche niedersächsische Sozialminister Hermann Schnipkoweit (CDU), auf der anderen die Mitbegründerin der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg Marianne Fritzen, Anti-Atom-Aktivistin von Beginn an. Beide sind heute über 80 Jahre alt, doch geistig hellwach.
Die Anfänge
Diese erste Zeugenvernehmung im neuen Jahr leitet thematisch zu den Anfängen, die den Ausschuss nun bald stärker beschäftigen werden. Deshalb ging es viel um die Frage, was den damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) bewogen haben mag, gerade Gorleben und nur Gorleben zum Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) zu benennen. Schließlich war doch die Bundesregierung unter Helmut Schmidt eher gegen Gorleben. Andererseits machte sie Druck, eine Entsorgungsnachweis für die Atomkraftwerke musste rasch geschafften werden, sonst standen Neugenehmigungen auf dem Spiel.
Das Atom-Endlager spielte zu dieser Zeit eher eine Nebenrolle, denn im Zentrum der Diskussion stand vor allem eine geplante Wiederaufbereitungsanlage (WAA) nebst Brennelementefabrik. Als der Widerstand gegen das NEZ jedoch wuchs, erklärte Albrecht 1979, die WAA sei zwar „technisch machbar aber politisch nicht durchsetzbar“ und verzichtete auf die Wiederaufbereitung. Fortan sollte in Gorleben „nur“ noch ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente errichtet und der Salzstock als Endlager erkundet werden. Der Ministerpräsident hat wohl geglaubt, dass er die Bevölkerung mit dieser Entscheidung beruhigt, doch seine Rechnung ging nicht auf. Nur ein Jahr später wurde das Bohrloch 1004 besetzt und die „Freie Republik Wendland“ ausgerufen.
Marianne Fritzen
Über Marianne Fritzen ist schon viel geschrieben worden. Anlässlich ihrer Zeugenvernehmung ist sie in einem Zeitungs-Interview als „Gorleben-Ikone“ und Mutter der Bewegung bezeichnet worden. Vor dem Untersuchungsausschuss versucht die Vorsitzende Maria Flachsbarth (CDU) und die CDU/CSU-Fraktion ihren Vorwurf zu widerlegen, die Bürger seien von Anfang an nicht informiert, statt dessen vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Es habe doch Informationsstellen und Veranstaltungen gegeben, die Gorleben-Kommission und einen Bürgerdialog, kommt es aus den Reihen der CDU. „Die Gorleben-Kommission war ein Geheimbund,“ erklärt daraufhin Fritzen, es hätten eben nur diejenigen Zugang gehabt, die erwünscht waren. Das Gremium wurde im Oktober 1977 gegründet und diente dem Gespräch mit Leuten vor Ort, letztlich der Schaffung von Akzeptanz, meint Fritzen. Eingeladen wurden aber nur ausgewählte Personen aus der Kommunalpolitik, Marianne Fritzen selbst hat sich den Zutritt zu den Treffen zwei bis drei Mal ohne Erlaubnis verschafft. Ihre Schilderung bringt vieles ins Wanken, was sich die Regierung auch heute wieder als „Bürgerdialog“ auf die Fahnen schreiben möchte. Sie habe doch offensichtlich zu allen Informationen Zugang gehabt, sei wohlinformiert gewesen, habe doch mit Ministern und Fachleuten immer wieder gesprochen. Das bestätigt Fritzen zwar, stellt aber klar, dies sei nicht zu verwechseln mit einem Bürgerdialog. Sie selbst hat sich um die Gespräche intensiv bemüht, war allerdings als Vorsitzende der BI und Kommunalpolitikerin – sie hat vor Ort die Grünen mitbegründet - auch privilegiert. Echte Transparenz und Bürgerbeteiligung von Bauern und interessierten Bürgern gab es eben nicht.
Kriminalisierung
Statt dessen wurden die, die sich querstellten, nach Strich und Faden überwacht. Fritzen erzählt, dass ihr Haus zeitweise von drei Seiten beobachtet wurde. Akribisch haben die Atomkraftgegner und Bauern in einer Spurendokumentation Buch geführt über die Beobachtungen durch die Polizei. Und später erzählt Marianne Fritzen noch eine beschämende Anekdote: Als der Pastor der Elbgemeinde Langendorf, ursprünglich ein Gorleben-Befürworter, sich eines Tages in einer Informationsstelle zum Endlager informieren wollte, wurde er dort von einem Mitarbeiter herumgeführt. Vor einem Foto, auf dem Atomkraftgegner in Brokdorf zu sehen waren, hielten sie inne und der Mitarbeiter erklärte: „Die hat man auch alle vergessen zu vergasen.“ Der Pastor war entsetzt über diese Äußerung. Später entwickelte er eine zunehmend kritische Einstellung gegenüber den Plänen der Bunderegierung. Dass man den Widerstand von offizieller Seite immer wieder versuchte in die kriminelle Ecke zu rücken, davon können viele Bürger im Wendland ein Lied singen.
Gorleben-Millionen
„Mit Speck fängt man Mäuse.“ Das ist so ein lapidarer Spruch, mit dem Marianne Fritzen das, was ihr in der ganzen Geschichte wichtig ist, die sogenannten Gorleben-Millionen, auf den Punkt bringen will. Die Akzeptanz Gorlebens als Endlager-Standort sollte erkauft werden, das haben sich Bundesregierung und Industrie Millionen kosten lassen. Was der Bund als Ausgleichszahlung verstanden haben wollte, sehen die Atomgegner als Schmiergelder an. Sie haben einigen Gemeinden im Landkreis Lüchow-Dannenberg einen gewissen Reichtum verschafft. Die sogenannte Licht-Affäre steht vielleicht auf einem anderen Blatt, ist aber immerhin ein Thema, bei dem der Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, Grindel, nicht mehr an sich halten kann. Denn Frau Fritzen stellt klar: „Herr Grill ist der einzige Mensch, den ich kenne, dem ich nicht noch einmal die Hand geben möchte.“ Kurt-Dieter Grill, damals CDU-Kreistagsabgeordneter und Vorsitzender der Gorleben-Kommission, hatte massiv für den Standort Gorleben geworben. In den achtziger Jahren hat er von dem Bauunternehmer Heinz Licht insgesamt über 100.000 DM in Empfang genommen. Als diesbezüglich Fragen der Opposition an Marianne Fritzen gestellt werden, versucht Grills Parteifreund Reinhard Grindel die Befragung mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte zu verhindern. Auch die Vorsitzende Flachsbarth greift ein und will eine Frage der Grünen-Abgeordneten Dorothea Steiner nicht zulassen - ohne Erfolg. Die Frage darf gestellt werden: ob Frau Fritzen bekannt sei, ob der Bauunternehmer Licht im Zusammenhang mit Gorleben Aufträge erhalten habe. Fritzen zuckt mit den Schultern – Steiner gibt selbst die Antwort und bejaht.
Hermann Schnipkoweit
Die meisten der Mitglieder im Untersuchungsausschuss waren noch Kinder in der Zeit, über die hier gesprochen wird. 1976 wurde Hermann Schnipkoweit (CDU) Sozialminister in Niedersachsen. In sein Ressort gehörten neben Sozialem, Gesundheit, Städte- und Wohnungsbau auch die Umweltfragen, insbesondere die Genehmigung von Atomkraftwerken und die Atomaufsicht.
Doch Schnipkoweit, der viele Details aus dieser Zeit vortragen kann, übt sich in der Kunst des partiellen Erinnerns. Als gelernter Bergmann reklamiert er eine gewisse Fachkenntnis – einerseits. So kommt es, dass er das Lied vom Salz als bestgeeignetes Endlagermedium singt und sich für Fachfragen der Grubentechnik zuständig fühlt. Doch wenn es an Detailfragen der Erkundung oder Fragen der Atomendlagerung ging, verließ er sich auf seine „hervorragenden“ Staatssekretäre Ziller und Chory, so Schnipkoweit.
Großes Rätsel
Als am 22.2.1977 das Kabinett Albrecht entschied, Gorleben als Standort für eine Entsorgungszentrum und ein Atom-Endlager auszuwählen, war Schnipkoweit selbstverständlich dabei. Doch an dieser entscheidenden Stelle, just zu diesem zentralen Datum setzt seine bis dahin gute Erinnerung prompt aus. Angesprochen auf eine wichtige Kabinettsvorlage, die für die Entscheidung vom 22. Februar grundlegend war, erklärt der ehemalige Minister Schnipkoweit empört: „Was ich alles kennen soll.“ In dem Dokument werden über mehrere Seiten Probleme aufgelistet, die eine Standortbenennung Gorlebens haben könnte, insbesondere ein Gasfeld unterhalb des Salzstocks und die unmittelbare Nähe zur DDR. Doch Schnipkoweit erinnert sich lediglich, dass in Gorleben ein unverritzter Salzstock gewesen sei und zudem in einem strukturschwachen Gebiet lag. Wenn man diese Kabinettsvorlage liest, stellt es sich einem als großes Rätsel dar, weshalb Gorleben trotzdem benannt wurde. „Es ist nichts Neues, dass die Erinnerung bei den Verantwortlichen immer dann aussetzt, wenn es unangenehm wird“, so Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Obfrau im Untersuchungsausschuss.
Einen wichtigen Vermerk aus seinem Ministerium aus dem Jahr 1981, in dem Zweifel am Standort Gorleben festgestellt werden, bezweifelt Schnipkoweit unterschrieben zu haben. Auch als man ihm sein Unterschriftskürzel unter dem Papier vorhält, will Schnipkoweit sich an den Inhalt nicht erinnern können. Kornelia Möller, Mitglied im Untersuchungsausschuss kommentierte dies trocken: „Einen Pudding kann man nicht an die Wand nageln.“
Wichtige Fragen bleiben auch an diesem Tag offen. Ob Ministerpräsident Albrecht bei der Benennung Gorlebens gepokert hat, und - weil er wusste, dass die Bundesregierung dagegen war – eine Ablehnung durch den Bund einkalkulierte? Bislang gibt es keine wirkliche Antwort darauf, nur Vermutungen. Marianne Fritzen schlägt pragmatisch vor, den dementen Albrecht doch durch seine Tochter Ursula von der Leyen befragen zu lassen. Doch weniger macht sie damit einen realistischen Vorschlag als dem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen, das vermutlich alle Mitglieder im Untersuchungsausschuss besitzen: das Geheimnis endlich zu lüften, das dieser Mann vielleicht mit ins Grab nehmen wird.