Mannigfaltige Manipulationen
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- 13 Mai 2011
Der Zeuge wird vor dem Untersuchungsausschuss begrüßt wie ein alter Bekannter: Dr. Arnulf Matting schüttelt viele Hände von Umweltpolitikerinnen und -politikern sowie Ministeriumsangehörigen, die seiner Anhörung beiwohnen. Doch auch für die, die ihn nicht persönlich kennen, ist er wahrlich kein unbeschriebenes Blatt. 30 Jahre zuständig für Atomfragen insbesondere nukleare Entsorgung im damaligen Bundesinnenministerium und dem späteren Bundesumweltministerium – es gibt von ihm Aktenfunde noch und nöcher. Matting hat unter Ministern fast aller Couleur seinen Dienst als Fachbeamter verrichtet. Als ausgebildeter Physiker arbeitete er zunächst für den TÜV Hannover, dann für das Institut für Reaktorsicherheit (später Gesellschaft für Reaktorsicherheit, GRS) bis er 1974 eine Stellung im Ministerium annahm.
Dass er unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eine Zeit lang die Aufgabe „Beschleunigung atomrechtlicher Genehmigungsverfahren“ erfüllen musste, empfindet er heute als unrühmlich. Schmidt wollte Anfang der 1970er Jahre vor dem Hintergrund der Ölkrise den Bau von Atomkraftwerken vorantreiben und offenbar konnte es ihm kaum schnell genug gehen.
Von einem Investitionsstau sei laut Matting die Rede gewesen. Aber der Zeuge erwähnt nicht, dass eben diese Regierung sich sozusagen selbst die Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte, indem sie die sogenannte Entsorgungsvorsorgepflicht der AKW festgeschrieben hatte. Das bedeutete, dass vor der Genehmigung von AKW eine Lösung für den nuklearen Abfall gefunden werden musste. Daher machten die Energieversorger Druck: ein Ort musste her, wo man die abgebrannten Brennstäben hinbringen konnte. Die Wiederaufbereitung sollte gefördert, gleichzeitig ein Zwischenlager eingerichtet und ein Endlager geplant werden.
Qualitative Veränderungen
Matting hatte als Referatsleiter für diesen Bereich einen wichtigen Auftrag. In seiner Mission, Gorleben voranzutreiben, versuchte er auf den „PTB-Zwischenbericht“ Einfluss zu nehmen, wie dies auch von seinem Kollegen Ziegler aus dem Bundesforschungsministerium (BMFT) bekannt ist. Der PTB-Zwischenbericht war die fachliche Grundlage, auf der die Entscheidung der Kohl-Regierung, Gorleben und keinen anderen Standort untertägig zu erkunden, im Juli 1983 gefällt wurde. Matting, Ziegler und die Beamten Hanning (damals Bundeskanzleramt) und Bloser (BMI) platzten am 11.05.1983 unangemeldet in eine fachliche Abstimmung über den PTB-Zwischenbericht und korrigierten ihre Wünsche in das Dokument hinein. Matting etwa überbrachte die Botschaft „BMI will nicht, daß andere Standortvorschläge in den Bericht eingehen“, die auch vom Bundeskanzleramt so bestätigt und von den Berichtsverfassern daher als Weisung aufgefasst wurde. Zudem wird Matting in einer Mitschrift des Gesprächs zitiert mit dem Satz: „Es will niemand eine Aussage aus der PTB herauspressen, die nicht fundiert ist, aber die Aussagen könnten auch positiver gefasst werden.“ Als Matting einige der vielen Verharmlosungen und Streichungen zwischen Entwurf und Endfassung des PTB-Zwischenberichts vorgehalten bekommt, gibt er zu, dass hier „qualitative Veränderungen“ vorgenommen wurden, die nicht nur redaktioneller Art waren. Doch dass diese eventuell auf seinen expliziten Wunsch zurückgingen, die „Aussagen positiver zu fassen“, will ihm nicht in den Kopf.
Etwa vier Wochen zuvor, am 13.04.1983, war Matting bereits in derselben Absicht unterwegs. Als bei einem ähnlichen Abstimmungsgespräch die Rede ist von schlechten Ergebnissen, die Wasser- und Gaszutritte betreffen, rät Matting davon ab, die Ergebnisse zu Grundlagen in dem „Zusammenfassenden Zwischenbericht“ zu machen, das „würde Verunsicherung hervorrufen“, statt dessen wolle man Unsicherheiten vermeiden. Matting wird in der Mitschrift des Gesprächs weiter zitiert: „Schrauben, an denen gedreht werden können(!), sind von PSE [Projekt Sicherheitsstudien Entsorgung, Mitverfasser des Berichts, d.Red.] aufgezeigt worden, wenn das notwendig ist.“ Dem Zeugen bleibt nur, abzustreiten, dass er hier richtig wiedergegeben wurde. Ihm kommt zupass, dass das Dokument, das ihn zitiert, kein offizielles Protokoll, sondern nur die Mitschrift eines Mitarbeiters ist.
Thematisiert wurde auch ein Bericht über Salzstöcke außerhalb Niedersachsens, der 1982 vorgelegt wurde. DIE LINKE befragte Matting nach einem Treffen, bei dem dieser Bericht besprochen wurde. Auch davon existiert eine Mitschrift. Offenbar bemerkte man plötzlich, dass das Kriterium Deckgebirge in der Studie auf 250 Meter festgelegt wurde und dass dies zum Ausschluss für Gorleben führen würde, weil das dortige Deckgebirge nur 200 Meter stark ist. Ein peinlicher Fauxpas. Rasch ließ man also in dem Endbericht die Randbedingung auf 200 Meter korrigieren. Wie solche „Randbedingungen“ überhaupt zustande kamen und dass sie so leicht veränderbar waren, ist für Matting kaum noch erinnerbar. Er erinnert sich auch nicht an dieses Treffen. Dass man so eine Veränderung macht, findet er aber nicht in Ordnung. Wenn er noch im Dienst wäre, würde er diesen Punkt aufgreifen. Heute vielleicht. Fakt ist allerdings, dass Matting sich aus den Akten eher als einer nachzeichnen lässt, der sich weniger der Wahrheit als seinem Dienstherrn verpflichtet fühlte. Und der wollte unter keinen Umständen, dass Gorleben „rausfällt“.
Schöne große Schächte
Für einen ganz anderen Aspekt, der zuvor mit dem Zeugen Dr. Heinrich Getz diskutiert wurde, kann Matting am Ende doch noch etwas beitragen. Auf die Frage, ob die Größe der Schächte, die für die untertägige Erkundung in den 1980er Jahren gebaut wurden, so gewählt wurde, dass man später auch Atommüll einlagern könne, sagt Matting herzerfrischend: „Da habe ich eigentlich keinen Zweifel.“ Für die Klärung, ob man nicht schon damals ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren hätte einleiten müssen, ist diese Tatsache nämlich entscheidend. Ja, hätte man. So sagte es auch das damals in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. Breuer aus Trier, das bereits bei der Zeugenanhörung Gerhart Baum Gegenstand war. Der Jurist Heinrich Getz war in den Jahren 1979 bis 1982 im Bundesinnenministerium als Abteilungsleiter für atomrechtliche Fragen zuständig.
Dass von Anfang an die Schächte (aus offenbar technischen Gründen) in einer Ausdehnung gebaut wurden, die nicht nur zur Erkundung, sondern auch für eine spätere Nutzung ausreichte, ist juristisch pikant. „Wenn daran gedacht sein sollte … die Erkundungsschächte so auszulegen, dass diese Schächte auch für die Endlagerung atomarer Abfälle gebraucht werden könnten, wäre schon für diese Erkundungs- bzw. Nutzungsschächte wegen der erforderlichen Vorsorge gegen Schäden ein Planfeststellungsverfahren unverzichtbar,“ schreibt Getz, der diese Meinung damals vertrat, in einer aktuellen Stellungnahme für den Untersuchungsausschuss. Das juristische Gutachten von Breuer habe seine rechtliche Auffassung gestützt. Ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren muss immer vor dem Bau einer Anlage erfolgen, wenn diese einmal mit radioaktivem Material zu tun hat.
Breuels Erpressungsversuch
Doch aus Niedersachsen wurde Druck gemacht: Falls der Bund Atomrecht fordere, schrieb die damalige Niedersächsische Wirtschaftsministerin Breuel an den Bundesminister Baum, wäre die Beschlusslage zwischen Bund und Ländern berührt. Bergrecht sei ausreichend, basta. Dieser Wunsch war Getz Vorgesetztem Pfaffelhuber Befehl: Fortan durfte Getz seine Meinung, das Atomrecht sei hinzuzuziehen, nicht mehr in der Öffentlichkeit äußern. Leider hat hier das Erinnerungsvermögen des Zeugen Getz seine Grenzen. Ja, es habe Konflikte mit dem Unterabteilungsleiter Pfaffelhuber gegeben, aber an den konkreten Fall erinnert Getz sich nicht mehr. Doch die Akten sind hier eindeutig: In der Frage Atomrecht oder nicht war das Bundesinnenministerium zunächst gespalten: Durchgesetzt hat sich die Auffassung, Bergrecht sei ausreichend – auch Baum passte sich schlussendlich dieser Meinung „im Interesse einer zügigen Lösung des Entsorgungsproblems“ an. Dass Getz kurz nach dieser Entscheidung, die zusammentraf mit dem Regierungswechsel zu Kohl, seinen Posten im Bereich Reaktorsicherheit räumen musste, scheint auf der Hand zu liegen. Nur gut, dass Getz selbst seine Versetzung in den Umweltschutzbereich eher als Beförderung empfand. Die Kohl-Regierung setzte Walter Hohlefelder auf seine Stelle, der später in die Industrie wechselte und sich schließlich als Präsident des Deutschen Atomforums wiederfand.