Der soziale Rebound
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- 6 Dezember 2016
- von Jörg Staude
Am Anfang war dieser Satz:
„Man kann grün sein, ohne links zu sein, aber man kann nicht links sein, ohne grün zu sein.“
Wer ihn zuerst geprägt, ausgesprochen oder aufgeschrieben hat, liegt wohl im Dunkel linker Geistesgeschichte. Verbürgt ist jedenfalls, dass der ehemalige PDS-Umweltminister Mecklenburg-Vorpommerns, Wolfgang Methling, 2004 denselben Gedanken in einem „Disput“-Beitrag so formulierte:
„Man kann zwar für die Umwelt arbeiten und sie schützen, ohne Sozialist zu sein, aber Sozialismus ohne Umweltbewusstsein und Umweltschutz ist kein Sozialismus, wenn man sich vor Augen führt, dass Naturzerstörung, Arbeitsplatzvernichtung und sozialer Niedergang dieselbe Ursache haben: Eine Wirtschaft, die sich selbst genügt, die die Natur und die Menschen als frei verfügbare Güter betrachtet, welche sich beliebig ausbeuten, manipulieren und substituieren lassen.“
Die über zehn Jahre alten Sätze klingen ziemlich heutig. Zum einen liegt das sicher am wenig geänderten Grundzustand der Gesellschaft, zum anderen hat die Linke bislang kein Konzept, wie sie die Ursachen von Natur- und sozialer Zerstörung in den Griff bekommen kann.
Methling fand übrigens schon 2004, es sei nur gerecht, wenn Mecklenburg-Vorpommern bis 2020 den Energiebedarf des Landes zu 100 Prozent aus Erneuerbaren decken würde. Das Ziel einer grünen Strom-Selbstversorgung hat das nordöstliche Bundesland seit zwei, drei Jahren bereits erreicht. Allerdings hätte Methling zu der Zeit sicher nicht daran geglaubt, dass einmal eine klimaskeptische und ökofeindliche Partei wie die AfD zweistellige Wahlergebnisse einfahren würde. Ihr nutze auch der Glaube, der Normalstromkunde müsste die Gewinne der „Ökos“ bezahlen. Gerade im Norden schossen Bürgerinitiativen gegen Windkraft wie Pilze aus dem Boden. Ein unerwarteter sozialer Rebound setzte ein.
Mit einem Mitte 2016 beschlossenen Bürgerbeteiligungsgesetz, der Windkraftinvestoren bindend kommunale Anteilseigener vorschreibt, versucht Mecklenburg-Vorpommer jetzt, die sozialen Verhältnisse auf die Höhe der Klima- und Energiepolitik zu bringen. Das rot-rot-grün regierte Thüringen hat dazu eine Initiative namens „Faire Windenergie“ gestartet.
Die Zukunft der Windkraft ist, real besehen, einer der weniger „harten Brocken“ für eine grüne Linke. Der am schwersten beiseite zu räumende ist die Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems bis 2050.
Was folgt daraus fürs Soziale? Im ersten Nachdenken kommt meist die berühmte Arbeitsplatzfrage. Die schlägt in der Öffentlichkeit die größten Wellen, ist im Kern aber lösbar. Nach Jahrzehnten des Strukturwandels sind ausreichend Instrumente von Regionalförderung, Umschulung und öffentlicher Beschäftigung vorhanden. Als größte Hindernisse bei der Umsetzung entpuppen sich denn auch regelmäßig die dogmatische schwarze Null in den öffentlichen Haushalten und der fehlende politische Wille, die bisherigen Profiteure des fossilen Energiesystems in die Pflicht zu nehmen.
Das hat wenig mit Umwelt-, sondern mehr mit Steuer- und Subventionspolitik zu tun. Nicht wenige folgern daraus, dass es eine scharfe Trennlinie zwischen der Bewältigung der ökologischen und der sozialen Probleme gibt. Sollen sich doch erstere konsequent um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Sozialpolitik darum kümmern, dass die Folgen der Umweltpolitik nicht Armut und Ausgrenzung sind. Den Grünen das Grüne und den Linken das Soziale.
Künstlich wirkt diese Trennung, wenn sich grundsätzliche Fragen der Lebensweise in Richtung Mobilität, Konsum und dem Verhältnis zum Wirtschaftswachstum stellen. Hier gilt es die Entwicklungsrichtung einer ganzen Gesellschaft und das Verhalten von Millionen Menschen zu ändern – und das unter den linken Prämissen von Solidarität, Gerechtigkeit und Demokratie. Es fehlt denn auch nicht an Versuchen, links und grün zusammenzubringen. Die Dringlichkeit, die Welt ökologisch zu retten, hat inzwischen eine Anziehungskraft erreicht, dass sie sogar als Begründung für soziale Umverteilung attraktiv wurde.
So hat die die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie als Gegenfinanzierung für ein bedingungsloses Grundeinkommen kürzlich eine CO2-Steuer ins Gespräch gebracht. „Ein Lebensstil, der „CO2-Dreck‘ verursacht muss teurer sein, als einer, der nicht die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen zur Folge hat“, wird argumentiert und auch eine Beispielrechnung gibt es: Um hierzulande ein Grundeinkommen von 500 Euro Monat pro Monat und Mitbürger finanzieren zu können, wäre eine Preiserhöhung bei Benzin um etwa 1,20 Euro je Liter erforderlich.
Unabhängig davon, ob sich das politisch durchsetzen lässt, stellt sich die Frage, ob so ein umweltsteuergespeistes Grundeinkommen nicht die Fortsetzung der bekannten Konsumgesellschaft mit anderen Mitteln ist? Ein generelles Problem solcher Steuern, die wie ein Rasenmäher daherkommen, ist zudem, dass sie die individuellen Lebensumstände außer Acht lassen. Wer Pech hat und für seinen prekären Job aufs Auto angewiesen ist, dem erscheinen 1,20 Euro mehr fürs Benzin immer als „Bestrafung“. Das führt nicht nur zu einem Gefühl von Ungerechtigkeit, sondern auch zu Ausweichreaktionen, die ihrerseits den Sinn der Besteuerung untergraben.
So wie bei Energieeffizienz-Maßnahmen ein Teil der Einsparung durch Wohlstandsgewinne „aufgefressen“ wird, gibt es bei zu harten Umweltsteuern einen sozialen Rebound.
Um den zu begrenzen, kam man auf die Idee, Umweltsteuern stärker zu individualisieren – das Konzept des Ökobonus‘. Dazu wird der Energie- und Ressourcenverbrauch, der pro Kopf in einem Land gegeben ist, als Maßstab genommen und nur der darüber liegende Verbrauch besteuert. Diese Einnahmen verteilt man dann an diejenigen um, die unter dem Durchschnitt liegen. Dieses Modell ist deutlich gerechter, weil es – in Anlehnung an eine Luxussteuer – diejenigen zur Kasse bittet, die sich große Wohnungen, teure Autos und weiten Flugreisen leisten können. Wer im sanierten Plattenbau wohnt und öffentliche Verkehrsmittel nutzt, profitiert. Diese soziale Komponente macht das Modell linksökologisch attraktiv.
Allerdings würde es auch, will man es konkret umsetzen, ein bürokratisches Kontrollmonster hervorbringen. Schließlich gilt es nachweislich festzustellen, ob man mit seinem Verbrauch von so ziemlich allem, was man zum Leben nutzt, über oder unter dem Schnitt liegt. Um dem zu umgehen, plädieren bei den jüngsten Varianten eines Ökobonus‘ die Wissenschaftler für eine Art pauschale Jahresprämie, wie sie in der Schweiz umgesetzt wird. Das Land sammelte 2015 rund 520 Millionen Franken aus einer C02-Abgabe und einer auf flüchtige organische Verbindungen ein. Pro Kopf wurden dann rund 57 Euro über die für jeden Schweizer obligatorische Krankenversicherung zurückerstattet.
So gerecht diese Einmalzahlung ist. Mehr als eine gute Stimmung gegenüber ökologischen Maßnahmen erzeugt sie letztlich auch nicht. Und für massenhafte Verhaltensänderungen ist sie viel zu gering. Links ja, Öko? Eher nein.