Fluglärm belastet Millionen - Nachtfluglärm macht krank
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- 25 August 2010
Eine neue umfassende Studie dokumentiert massive Gesundheitsschäden durch Fluglärm.
Lärmforschung ist eigentlich eine seriöse wissenschaftliche Disziplin. Allerdings hat im Verlauf des letzten Jahres ein Mann für Kontroversen gesorgt, die eher Boulevardniveau haben. Die Flughafenlobby sah sich von dem Epidemologen Prof. Eberhard Greiser und seinen Forschungsergebnissen derart bedroht, dass sie eine Bilderbuchmedienkampagne lostrat, um seine Person und seine Methodik in Frage zu stellen.
Für Prof. Greiser keine neue Erfahrung. Er hat in der Vergangenheit schon einmal an einer politisch umstrittenen Studie mitgearbeitet. Als Direktor des Bremer Krebsregisters war er Mitautor einer der epidemologischen Bewertungen des Abschlussberichtes der KiKK-Studie. Es ging dabei um die Frage, ob man ursächlich feststellen kann, dass der Wohnort eines unter 5 Jahre alten Kindes in der unmittelbaren Umgebung eines Kernkraftwerkes eine Leukämieerkrankung begründet oder nicht.
Diese Studie streifte den Grenzbereich zur Weltanschauung. Der Auftraggeber der Studie, das Bundesamts für Strahlenschutz, behauptet bis heute, man könne dort zwar erkranken, aber weil alle Grenzwerte eingehalten werden und keine radioaktiven Emissionen austreten, sei das Kernkraftwerk nicht der eindeutige Verursacher. Damit greift weder das Vorsorgeprinzip des Staates, noch können die Betreiber verantwortlich gemacht werden.
Heute macht Professor Greiser wieder Schlagzeilen für den Fachbereich Epidemiologie. Sein aktuelles Forschungsvorhaben: Fall-Kontroll-Studie zu gesundheitlichen Risiken in der Umgebung eines größeren deutschen Flughäfen (Köln-Bonn). Ein erster Ergebnisbericht ist auf der Homepage des Umweltbundesamtes abrufbar (www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/dateien/3153.htm).
Die Frage, ob Fluglärm krank macht, ist politisch mindestens ebenso umstritten. Folgt man Prof. Greisers neuesten Untersuchungen, kann man in absehbarer Zeit die Profitgier der Luftfahrtindustrie in Schlaganfalltoten angeben und nicht nur in Umsatz- und Beschäftigungszahlen.
Im Unterschied zum mysteriösen Strahlen eines AKWs ist der Lärmemittent Flughafen nicht nur deutlich zu hören und seine Wirkung kann durch Regulierung der Flüge beschränkt werden.
Bereits 1972 wurden die ersten epidemologische Studien veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz -Kreislauferkrankungen vermuteten. In den letzten Jahren haben verschiedene Forschungen diesen Anfangsverdacht weiter untermauert. Man kann heute sicher sagen, dass nächtlicher Fluglärm, abhängig von seiner Stärke ab einem Dauerschallpegel von 35 dB(A) aufwärts, das Risiko für krankhaften Bluthochdruck erhöht. Wenn man den Ausgangswert um 10dBA erhöht, erhöht sich das Risiko einer Erkrankung um 14.1%. Schon 2006 hatte eine Studie des Umweltbundesamtes ergeben, dass im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn vor allen nächtlicher Fluglärm zu einer Erhöhung der Verschreibung von Kreislaufmedikamenten durch niedergelassene Ärzte führt.
Für diese Studie wurden die Daten von mehr als 809.000 Versicherten gesetzlicher Krankenkassen im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn ausgewertet worden. Bei Frauen fand sich außerdem erhöhte Verordnungsmengen für Schlaf– und Beruhigungsmittel, sowie Antidepressiva.
Die Ergebnisse waren derart eindeutig, dass Prof. Greiser eine zweite Studie durchführte, die sich nur mit dem Einfluss von Fluglärm auf Erkrankungen, die zu einer Behandlung im Krankenhaus führten, befasste.
Als epidemologische Methode wählte er die Fall-Kontroll-Studie. Dabei werden Faktoren, die im Verdacht stehen, zu Erkrankungen beizutragen, bei bereits Erkrankten erhoben und mit der Verteilung derselben Faktoren bei einer Vergleichsgruppe von Nicht-Erkrankten verglichen. Finden sich solche Faktoren statistisch nachweisbar häufiger in der Gruppe der Erkrankten, kann man von Risikofaktoren, also krankmachenden Faktoren sprechen.
Die dieser Studie zugrundeliegenden Daten waren die Fluglärmdaten von sechs Monaten und die Daten von 1.03 Millionen Versicherten 8 gesetzlicher Krankenkassen. Das sind etwas 55% der Bevölkerung der Studienregion (Stadt Köln, Rhein-Sieg-Kreis, Rheinisch-Bergischer Kreis). Die Fluglärmdaten wurden mit den Anschriften der Versicherten abgeglichen.
Die Untersuchungen zeigen, dass die gesundheitlichen Folgen des Fluglärms von einem Dauerschallpegel von 40 dB(A) an linear anstiegen. Mehr Lärm macht also mehr krank. Es zeigte sich, dass Frauen stärker auf Fluglärm reagieren. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung war, dass diejenigen Anwohner, die sich auf Kosten des Flughafens Köln-Bonn Schallschutzfenster für ihre Schlafzimmer finanzieren lassen konnten, ein geringeres Erkrankungsrisiko aufwiesen, als solche, denen eine derartige Investition nicht bewilligt wurde.
Auf Grund der Erfahrungen mit Schallschutzfenstern in von Fluglärm betroffenen Berliner Gemeinden kann man sagen, dass das wirtschaftliche Interesse der Betreiber pragmatische Lösungen begünstigt. Sie haben zum Beispiel kein Interesse an Speziallösungen, etwa für chronisch Kranke. Erst wenn weitere Untersuchungen die Folgen solcher Defizite nachweisen, könnte sich das ändern. Die Flughafenbetreiber spielen hier auf Zeit. Sie spielen dabei mit dem Leben der Anwohner.
Auf der Grundlage der statistisch signifikanten Risikoerhöhungen lässt sich berechnen, wie viele Personen bei den verschiedenen diagnostischen Gruppen infolge nächtlichen Fluglärms erkrankt sein können. Die ermittelten Zahlen beziehen sich auf einen durchschnittlichen Zeitraum von zwei Kalenderjahren. Die durch Fluglärm hervorgerufenen Schlaganfälle kann man in der Region Köln-Bonn mit 938 beziffern. Wesentlich häufiger kommt es allerdings zu koronarer Herzkrankheit : 2.118 Personen erkrankten daran.
Aufgrund des Umfangs der Daten kann man die erzielten Ergebnisse verallgemeinern, allerdings sind die Risiken und andere beeinflussende Größen standortspezifisch. Das heißt, jeder Flughafen muss einzeln untersucht werden. Trotzdem zeigen die Forschungsergebnisse Prof. Greisers deutlich, dass im Interesse der Gesundheit der Anwohner den Flughafenbetreibern Grenzen gesetzt werden müssen.
von Tanja Girod