Die coolsten Vögel bleiben am Boden
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- 3 November 2020
- von Sabine Leidig
Ein europäisches Eisenbahnnetz kann Flüge ersetzen, wenn die Bahnunternehmen Kooperationspartner statt Konkurrenten sind.
Als dieser Tage der neue Großflughafen BER eröffnet wurde, demonstrierten Fluglärminitiativen, die um Nachtruhe und Gesundheit der Anwohner*innen fürchten. Das sind sehr viel weniger Betroffene als in der Rhein-Main-Region, aber sie sind nicht allein. Mit ihnen protestierten Klimaschützer*innen und Pinguine (die coolsten Vögel, die nicht fliegen) gegen die Flugindustrie als „Brandbeschleuniger der Klimakrise“. Sie forderten klimafreundliche Alternativen und keine Verkehrsprojekte aus dem letzten Jahrhundert.
Nun praktiziert die Lufthansa momentan (aus purer wirtschaftlicher Not) ungefähr das, was wir auch als Linke längst fordern: zumindest Kurzstreckenflüge unverzüglich zu verlagern. Die Fluggäste werden per „Express Rail“ mit dem ICE zum Frankfurter Flughafen gefahren und so auf die verbliebenen internationalen Flüge gebracht, während von München kaum noch internationale Flüge gehen – und vom gerade eröffneten BER ebenso wenig. Es funktioniert also und alleine dadurch könnten bis zu 20 Prozent aller Flüge entfallen. Auf Dauer.
Allerdings reicht das nicht. Deshalb argumentieren wir seit Jahren (unterstützt von einer wachsenden Zahl reiselustiger Menschen und weitsichtigen Eisenbahner*innen) für ein europäisches Zugnetz mit verknüpften Nachtzugverbindungen in alle Großstädte, das in Zusammenarbeit der jeweiligen Staatsbahnen aufgebaut wird. Nun gibt es auch für diese Alternative unerwarteten Rückenwind:
Im September präsentierte Minster Andreas Scheuer (der bisher keinerlei Ehrgeiz für die Bahn zeigte) ein Konzept für den „TEE 2.0“ – den neuen Trans-Europ-Express auf Schienen. Zwar ist das Vorgestellte noch sehr dünn, aber ein solches europäisches Zug-Netz lässt sich weiterentwickeln und kann eine gute Alternative zum Flugverkehr werden.
Das Verkehrsministerium geht dabei ganz explizit nicht davon aus, dass sich solch ein Liniennetz mit einem europäischen „freien Eisenbahnmarkt“ umsetzen lässt – wie es die geltende EU-Ideologie ist. Deshalb wird eine gemeinsame Gesellschaft der europäischen Bahnen zum Betrieb dieser Züge vorgeschlagen: gegründet von dem französisch-deutschen Duo SNCF und Deutsche Bahn, die auch schon die Linien zwischen Frankfurt/Stuttgart und Paris erfolgreich gemeinsam betreiben. Das ist ein Politikwechsel, den wir Linke unter der Losung „Kooperation statt Konkurrenz“ begründet haben: sinnvolle und erfolgreiche transnationale Verbindungen gibt es nur, wenn die nationalen Bahngesellschaften nicht gegeneinander arbeiten und sich gegenseitig Marktanteile abjagen.
Beachtlich ist auch, dass in dem Konzept Nachtzüge eine wichtige Rolle spielen. Lange Reisezeiten zwischen europäischen Städten im Schlaf zu überwinden, ist klug. Als es vor vier Jahren darum ging, dass die Deutsche Bahn ihre Nachtzüge einstellt, waren wir sehr engagiert, dies zu verhindern – geschafft haben wir es nicht und wurden stattdessen als Ewiggestrige dargestellt. Nun findet man im neuen Konzept des BMVI Vorschläge für Nachtzuglinien die die Deutsche Bahn vor einigen Jahren erst abgeschafft hat, wie Berlin–Paris.
Zusammen mit der coronabedingten Flugflaute und der starken Klimabewegung ist die TEE 2.0-Ansage ist eine Chance „Flüge auf die Züge“ zu bringen. Für weniger Lärm und mehr Klimaschutz.
Dieser Kommentar erschien zuerst für das Gelnhäuser Tagblatt