Wie der Berliner Senat die Zerschlagung der S-Bahn vorantreibt
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- 15 November 2019
- von Ludwig Lindner
Die S-Bahn ist das Herzstück des Berliner Nahverkehrs. Nun überschlagen sich die Ereignisse: Große Teile des Berliner S-Bahn-Netzes werden ausgeschrieben. Für die Zukunft ist zu befürchten, dass verschiedene Betreiber die S-Bahn unter sich aufteilen.
Keine Stadt der Welt hat ein solch intelligentes System aus Kreuz und Ringbahn wie Berlin, das auch das Umland fast vollständig abdeckt. Auf eigenen Gleisen mit einem eigenen Elektrifizierungssystem fährt die Berliner S-Bahn auf einem Netz, das zwar häufig parallel zu Fernverkehrsstrecken verläuft, aber trotzdem völlig unabhängig ist.
Durch eine Kette politischer Fehlentscheidungen befindet sich die S-Bahn allerdings seit mehr als 10 Jahren in einer Dauerkrise. Erst wurde sie durch den Börsenkurs der Muttergesellschaft Deutsche Bahn AG kaputtgespart, dann entschied sich der Berliner Senat unter dem Mantra des »Wettbewerbs auf der Schiene«, das Netz in drei Teilnetze aufzuspalten und diese separat auszuschreiben.
Dabei ist klar, dass ein solcher Pseudowettbewerb ausschließlich Nachteile birgt. Neben erheblichen Unsicherheiten für die Beschäftigten haben temporäre Betreiberfirmen eines Teilnetzes keinerlei langfristiges Interesse an dessen Weiterentwicklung. Sie wollen lediglich – solange sie am Zuge sind – den meisten Profit herausholen. Das geht am besten durch Abwirtschaften der Infrastruktur und/oder Lohndumping. Durch zahlreiche neue Schnittstellen sind Konflikte zwischen den Betreibern sowie dem Land vorprogrammiert. Die Regio-Netze anderer Bundesländer dienen hervorragend als abschreckende Beispiele.
Nun wurde die Ausschreibung von etwa zwei Dritteln des Netzes beschlossen. Weltweit können sich Anbieter auf die Nord-Süd und/oder Ost-West-Strecken bewerben. Maßgeblich vorangetrieben wird der Prozess vom grünen Verkehrssenat, unterstützt durch die Beratungsgesellschaft KCW. Die ursprünglich vorgesehene zwingende Zerschlagung des Netzes in der Ausschreibung ist durch Intervention von SPD und LINKE zwar verhindert worden. Damit ist eine Vergabe von Teilnetzen auch an externe Unternehmen aber noch lange nicht vom Tisch. Im Gegenteil: Der Senat unterstützt Fremdanbieter sogar bei ihrer Bewerbung. Auf Landeskosten soll für sie eine neue große Werkstatt für die Instandhaltung gebaut werden. Für einen zwei- bis dreistelligen Millionenbetrag werden hier öffentliche Gelder für Parallelstrukturen verschleudert, die für wichtige Ausbauprojekte fehlen.
Dabei ist die Senatspolitik alles andere als alternativlos. Auf Ausschreibungen von Teilnetzen könnte künftig verzichtet werden. Häufig wird argumentiert, dass aufgrund von EU-Vorgaben kein Handlungsspielraum bestehe. Diese Auffassung ist aber falsch: Eine Direktvergabe des S-Bahnnetzes an die S-Bahn Berlin GmbH wird derzeit nur vom »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (GWB) verhindert – einem Bundesgesetz. Die diesem Gesetz zugrundeliegende EU-Verordnung hingegen lässt Ausnahmen für besondere Netze zu. Eine erfolgreiche Bundesratsinitiative zur Änderung des GWB, die auch für das Land Hamburg mit seinem S-Bahn-Netz interessant sein könnte, würde das Problem lösen.
Berlin braucht eine leistungsfähige, öffentlich-rechtliche S-Bahn aus einer Hand. Auch die Entwicklung neuer Baureihen sollte langfristig in die öffentliche Hand überführt werden. Dies wäre die Grundlage für langfristige Planungszyklen auf dem einzigartigen Berliner Netz. Man wäre unabhängig von langwierigen, teuren und bürokratischen Ausschreibungsprozessen sowie Fehlleistungen der privaten Bahnindustrie. In diese Richtung verweigert der Berliner Senat bisher jedoch jegliche Aktivitäten.
Der Artikel erschien zuerst in der "neuköllnisch", der Bezirkszeitung der LINKEN.Neukölln.
Ein Gutachten des Wissenschftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu Vergabemöglichkeiten im Schienenpersonennahverkehr findet sich hier.