Bundesverkehrswegeplan 2030: erste Bewertung, Analyse, Infos

Seit 21. März läuft die erstmals durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung zum neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWP), sie endet am 2. Mai. Eine erste Analyse zeigt, dass auch dieser Plan wie alle vorherigen eine unfinanzierbare Wunschliste von über 1.000 Verkehrsprojekten ist, die allermeisten bei der Straße. Eine Verkehrswende läutet dieser Plan definitiv nicht ein, geht es wie bisher doch nur darum, wie man dem angeblich unaufhaltsam weiter ansteigenden Verkehr Herr werden kann. Bei den Schienenprojekten gibt es ein paar ganz gute Ansätze: So soll der Deutschland-Takt realisiert werden. Allerdings werden die großen Geldvernichtungsmaschinen weiter gebaut – und auch die Mottgers-Spange ist wieder im Rennen, als zumindest präferierte Variante. Die „Abarbeitung“ der Schienenprojekte würde allerdings bedeuten, dass deutlich mehr Geld als bislang für den Neu- und Ausbau zur Verfügung gestellt wird – und selbst dann wird es eher 2050 als 2030, bis alle Maßnahmen fertig sind. Der 200 Seiten starke Entwurf des BVWP 2030 vom März 2016 findet sich hier als pdf.

Siehe auch eine erste Analyse des Umweltberichts zum BVWP

 

1. Politische Bewertung

1. An der grundlegenden Kritik der Bundesverkehrswegeplanung ändert sich auch durch den neuen BVWP nichts. Wie alle seine Vorgänger basiert er auf einer Verkehrsprognose, die ebenfalls wie immer erhebliche Steigerungen vorhersagt. Die einzelnen Verkehrsprojekte werden dann nur danach beurteilt, inwieweit sie zum „Abfahren“ des gestiegenen Bedarfs beitragen. Deshalb haben sogar Straßenprojekte z.T. positive Umweltnutzen. Erforderlich wäre und ist weiterhin ein komplettes vom Kopf auf die Füße stellen der Verkehrsplanung. Zunächst muss auf Basis von klar definierten Umwelt- und weiteren Zielen ein Szenario entwickelt werden, mit dem diese Ziele erreicht werden können. Dieses kann nicht nur aus Infrastrukturinvestitionen beruhen, sondern muss die gesamte Verkehrspolitik unter Einbeziehung insbesondere der finanziellen, steuerlichen (Fehl-)Anreize betrachten. Erst darauf basierend ist dann zu schauen, welche Verkehrsprojekte man dafür benötigt, um dieses Szenario umzusetzen.

2. Trotz des zu Grunde Legens eines weiteren Verkehrswachstums hätten sich Handlungsmöglichkeiten ergeben. Wie aus der Betrachtung der drei Investitionsszenarien (Seite ersichtlich wird, hätte es durchaus die Möglichkeit gegeben, die Mittel deutlich zu Gunsten der umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße umzuschichten. Hierbei würden erhebliche Umweltnutzen entstehen. Die diesen gegenüber stehenden und in der monetarisiert Form auch übertreffenden schlechteren wirtschaftlichen Nutzen basieren alleine darauf, dass der Anstieg des Verkehrs als gegeben hingenommen wird. Es macht also durchaus Sinn, die Investitionen in Richtung des Szenarios Schiene/Wasserstraße zu verschieben!

3. Der BVWP 2030 ist ebenso eine Wunschliste wie alle bisherigen Bundesverkehrswegepläne, eigentlich eine noch größere und unrealistischere als der letzte Bundesverkehrswegeplan von 2003. Trotz der geplanten Investitionen von im Durchschnitt jährlich 15 Milliarden Euro [1] bis 2030 können selbst viele Projekte des Vordringlichen Bedarfs nicht in der Laufzeit realisiert werden. Betrachtet man die zusätzlichen Projekte, also die, die nicht als laufend deklariert wurden, dann werden vom gesamten Volumen des Neu- und Ausbaus im vordringlichen Bedarf 45% erst nach 2030 realisiert (oder beendet). Betrachtet man die gesamten zu realisierenden Maßnahmen einschließlich der laufenden dann sind es immer noch 33,2 %! [2] Beim BVWP 2003 war diese Reserve oder Schleppe niedriger, sie lag bei durchschnittlich 27%, ebenfalls für alle Verkehrsträger betrachtet [3]! Zudem ist die Finanzierung des Aufwuchses auf 15 Mrd. € pro Jahr alles andere als gesichert. Denn für 2019 stehen wieder nur 12,2 Mrd. € in der Finanzplanung des Bundes. Die „Lücke“ soll die Lkw-Maut auf Bundesstraßen schließen. Aber die bringt maximal 2 Mrd. € pro Jahr ein. Wo kommt also das Geld her? Aus dem Haushalt? Von Privatinvestoren? Oder doch von einer Pkw-Maut für alle?

4. Positiv zu vermerken ist, dass zumindest auf diesem Papier der Erhalt deutlich aufgestockt wird, die Investitionen insbesondere bei der Straße deutlich steigen sollen. Dies beruht aber zum einen auf einem Rechentrick, weil nämlich die Erhaltungsanteile insbesondere beim Ausbau bestehender Strecken gesondert berechnet wurden und dem Erhalt zugeordnet sind. Dadurch wird der Erhalt im Vergleich zum BVWP 2003 „aufgebläht“, während der Neu- und Ausbau kleiner aussieht. Das DIW gab beim BVWP 2003 den Anteil des Erhalts beim Ausbau auf 40% an! Zudem ist diese (angebliche) Erhöhung der Erhaltungsinvestitionen nicht mit einer Umkehr der Investitionsstrategie verbunden worden, sondern im Gegenzug sollen die Straßenbaumittel so aufgestockt werden, dass weiter im bisherigen Umfang Straßen-NEUBAU stattfinden kann. Den jährlich durchschnittlich 4,5 Mrd. € für den Erhalt (eben einschließlich der beim Ausbau anfallenden) stehen immer noch 2,35 Mrd. € für den reinen Neu- und Ausbau gegenüber [4]. Das bedeutet, jedes Jahrs sollen durchschnittlich 6,85 Milliarden Euro in die Straße fließen. 2016 sind es 6,15 Mrd. €. Eine Verkehrswende sieht anders aus!

 

2. Analyse des BVWP 2030

(Siehe hierzu die Tabellen auf den Seite 14 und 38 des BVWP-Entwurfs) Insgesamt beträgt das „Gesamtvolumen“ des BVWP 264,5 Mrd. € (s. 32). Dieser steht aber nicht im Zeitraum von 2016 bis 30 zur Verfügung! In diesem Zeitraum sollen es nämlich „nur“ 226,7 Mrd. € sein (S. IV), das sind 15,1 Mrd. € pro Jahr. Die Presse ist Dobrindt aber voll auf den Leim gegangen: praktisch alle schreiben, dass bis 2030 264,5 Mrd. € investiert werden. Denn bei diesem Gesamtvolumen eingerechnet ist auch die sogenannte Schleppe, das ist das, was erst nach 2030 realisiert bzw. fertig gebaut wird. Als Erhaltungsanteil bei den Neu- und Ausbauprojekten sind das 6,7 Mrd. €, die zwar im BVWP enthalten sind, aber erst nach 2030 realisiert werden sollen (ebd.). Beim Neu- und Ausbau ist die Schleppe wesentlich größer: statt der angegebenen 94,7 Mrd. € stehen tatsächlich nur 63,6 Mrd. € zur Verfügung (S.35). Das ist die maßgebliche Zahl zur Beurteilung der Frage, wie viel in den nächsten 14 Jahren neu und ausgebaut werden kann!

Von diesen 63,6 Mrd. € entfallen zudem 25,2 Mrd. € auf bereits bewilligte und/oder in Bau befindliche Projekte (Straße 15,9; Schiene 8,4 und Wasserstraßen 0,9 Mrd. €) (Tabelle S. 14).

Für zusätzliche Projekte stehen 38,4 Mrd. € zur Verfügung. Die werden – durchaus etwas überraschend – deutlich günstiger für die Schiene verteilt: Den 19,3 für die Straße stehen immerhin 17,2 für die Schiene gegenüber; für die Wasserstraßen sind es 1,8 Mrd. € (ohne den jeweiligen Erhaltungsanteil, der im Erhaltungstopf „verbucht“ ist).

Die „Schleppe“, also das was nach 2030 zu Ende gebaut werden soll, liegt mit 37,8 Mrd. € fast gleich hoch wie der Neu- und Ausbau bis 2030. Dies jetzt allerdings mit Erhaltungsanteil, der macht 6,7 Mrd. € aus (s.o.), bleiben also 31,2 Mrd. € Volumen für den reinen Neu- und Ausbau nach 2030 übrig.

Fazit: Fast die Hälfte des vordringlichen Bedarfs (45%) aller Verkehrsträger wird erst nach 2030 gebaut werden!5 Die 37,8 Mrd. € nach 2030 verteilen sich mit 16,4 auf die Straße, 17,9 auf die Schiene und 3,5 Mrd. € auf die Wasserstraßen.  [5]

Die Zahlen für den Erhalt sind hoch, in der Tat deutlich höher als beim BVWP 2003. Bei der Straße wird das Ziel unterstellt, dass sich der Zustand im Netz nicht verschlechtern soll (S. 26). Dass es bei der vorangegangenen Erhaltungsbedarfsprognose 2011 bis 2025 lediglich das Ziel gab, das unbefriedigende Zustandsniveau des Jahres 2010 zu halten, kritisierte aber schon der Bundesrechnungshof (BRH-Bericht: Haushaltsausschuss Ausschussdrucksache 2120 / 18.WP). Dennoch liegt der Ansatz bei durchschnittlich 4,5 Mrd. € (S. 27) pro Jahr, insgesamt bei 67 Mrd. € (S. 149) und erhöht sich damit gegenüber der genannten Prognose 2011-25 von durchschnittlich 3,8 Mrd. € um 0,7 Mrd. € pro Jahr.

Reicht die Summe aus? Liegt tatsächlich die neue Erhaltungsbedarfsprognose 2016 bis 2030 vor? Wird die veröffentlicht? Bewertet der BRH auch diese? Auf welchen ggfs. anderen Berechnungen basieren die Angaben im BVWP? Wie wird zukünftig gewährleistet, dass die Mittel tatsächlich in der erforderlichen Höhe ausgegeben werden? Diese Fragen bleiben offen.

Bei der Schiene wird insgesamt ein Anteil für den Erhalt im Zeitraum 2016-2030 aus Bundesmitteln von 58,4 Mrd. € unterstellt (S. 14). 6 Mrd. € davon sind anteilige Erhaltungsinvestitionen beim Neu- und Ausbau (S. 29), so dass für den expliziten Erhalt 52,6 Mrd. € unterstellt werden (ebd.), das sind die Mittel, die über die LuFV an die DB AG fließen. Dazu kommen noch die Eigenmittel der DB und die Mittel, die als Dividendenzahlung an den Bund zusätzlich in den Erhalt und Ersatzbedarf fließen.

Bis 2019 gilt ohnehin die LuFV II. Für die 11 Jahre danach wird der Finanzierungsanteil des Bundes an der LuFV auf durchschnittlich 3,5 Mrd. € pro Jahr festgesetzt.

Ob bei der Schiene eine reine Fortschreibung ausreicht, ist stark zu bezweifeln, kann aber nicht eindeutig bewertet werden. Hintergrund des vorsichtigen Ansatzes mag aber auch sein, dass sich der Bund bei den spätestens 2018 anstehenden Verhandlungen mit der DB AG über die LuFV III nicht vorab mit einer höheren Festsetzung der Bahn in die Hände spielen will.

Bei Wasserstraßen fließt der größte Anteil in den Erhalt, fast 10 Mal so viel wie in den Neu- und Ausbau, 16,2 zu 2,7 Mrd. €!

Interessant sind die Investitionsszenarien auf Seite 33. Sehr merkwürdig, wenn nicht gar unverständlich ist, dass hier die Summe der Neu- und Ausbaumittel mit 94,7 Mrd. € festgelegt wurde. Denn diese beträgt bis 2030 ja nur 63,6 Mrd. € (s.o.). Die 94,7 sind ja nur die Summe aller Projekte im vordringlichen Bedarf. Aber wurde diese Summe vorher festgelegt und dann „mit Projekten aufgefüllt“? Beim BVWP 2003 gab es mal eine sogenannte Planungsreserve, das, was jetzt Schleppe heißt. Die beträgt nun 45%. Hat man sich diese Zahl vorher gesetzt? Wieso genau 94,7 Mrd. €?

Behauptet wird jedenfalls, man bewege sich bei der Aufteilung der Finanzmittel auf Straße – Schiene – Wasser zwischen dem „Weiter-So-„ und dem „Nachhaltigkeitsszenario“, weil man – durchaus, aber nur etwas – zu Gunsten von Schiene und Wasser abweicht (S. 35).

Die Tabelle mit den verschiedenen Nutzen in den drei Szenarien (S. 34) ist für die weitere Arbeit sicher sehr hilfreich; allein die monetarisierten Umweltnutzen liegen beim Szenario 3 (Stärkung Schiene/Wasserstraße) um fast 5,9 Mrd. € höher als beim Szenario 2 (Status Quo); dazu kommen weitere erhebliche nicht-monetarisierte Umweltnutzen.

Offen bleibt: Im Umweltbericht ab Seite 138 findet sich die umweltseitige Bewertung der drei Szenarien. Die im BVWP angegebenen aufsummierten Verkehrsnutzen sind dort m.E. nicht zu finden. Wer hat diese berechnet? Und wieso wurde genau diese Investitionsverteilung gewählt? Auf Seite 15 heißt es dazu, dass auch die „technischen Obergrenzen für Investitionen“ berücksichtigt wurden, was wohl bedeuten soll, dass man bei der Bahn nicht alles auf einmal bauen kann, weil dann zu viele Strecken nicht befahrbar wären.

Was ist „drin“ im BVWP?

Interessant ist zunächst, dass nicht im BVWP steht, was nicht drin ist von den untersuchten Projekten. Die Kategorie „kein Bedarf“ existiert schlicht nicht, im Vorentwurf, den das Handelsblatt hatte, standen diese aber noch in den Listen drin. Es gibt bei den Straßen lediglich eine ganz kurze Liste am Ende, mit Projekten, die erneut überprüft werden sollen / dürfen, das ist aber nur ein kleiner Teil der nicht aufgenommen Projekte.

Die Zahl der Kategorien ist noch mal gestiegen. Gab es früher nur Vordringlichen Bedarf (VB), Weiteren Bedarf (WB) und Kein Bedarf (KB), gab es seit 2003 auch noch Weiteren Bedarf mit Planungsrecht (WB*). Galt der direkte Planungsauftrag für die Länder bislang nur für den VB, durften diese seitdem auch für die WB* Projekte die Planung beginnen. In Einzelfällen gab es sogar schon Geld vom Bund zum Baubeginn für Projekte dieser Kategorie. Aber da die „Schleppe“ allein des vordringlichen Bedarfs bereits 16,4 Mrd. € ausmacht, ist es völlig unrealistisch, dass Projekte der Kategorie WB* vor 2030 auch nur einen Baubeginn erfahren werden. Jetzt gibt es eine weitere neue Kategorie, die VB-Engpassbeseitigung (VB-E), die besonders vordringlich sein soll, sowie – nur bei Bundesstraßen - die Spalte VFS mit „1“, „0“ oder ohne Angabe. 1 und 0 stehen jeweils für eine bundesweite Bedeutung (mehr s.u.).

Bei der Schiene ist bisher nur ein kleiner Teil der Projekte abschließend bewertet, darunter die, die nach der ersten Untersuchung besonders vordringlich schienen. Über 30 weitere Projekte werden erst jetzt in einer zweiten Phase bewertet, für diese wurde ein „Fonds“ von 4 Mrd. € im BVWP reserviert. Da sich dies aber auf den überzeichneten vordringlichen Bedarf bezieht und ja 17,9 Mrd. € in der Schleppe nach 2030 sind, kann man sicher ohne Anmaßung sagen, alle die Projekte, die jetzt in der zweiten Phase noch „reinkommen“, werden sowieso erst nach 2030 realisiert werden, von ganz wenigen Ausnahmen vielleicht einmal abgesehen. Diese Projekte der zweiten Phase sollen dann durch Beschluss des Bundestages nachträglich in den Bedarfsplan Schiene aufgenommen werden (S. 40). Unklar ist, bis wann diese zweite Phase der Untersuchung bei den noch ausstehenden Projekten abgeschlossen sein soll.

Bei den Wasserstraßen haben vier Projekte einen errechneten Nutzen, der unter den Kosten liegt, also ein Nutz-Kosten-Verhältnis (NKV) < 1! Nach Bundeshaushaltsordnung darf man nicht bauen, wenn keine Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist. Hierzu sollen nach Aussage des BMVI dann jeweils Beschlüsse des Bundestages oder zumindest des Haushaltsausschusses erfolgen, wie es sie schon mehrmals bei der Rheintalbahn gab. Der Bundestag soll also beschließen, dass Ausgaben über das erforderliche und gebotene Maß hinaus getätigt werden dürfen. Bei einem der vier Projekte, der Schleuse Scharnbeck, ist das bereits erfolgt. Bei dreien der vier Projekte kann man ja noch diskutieren, ob man sie tatsächlich bauen will, aber eindeutig nicht beim Elbe-Lübeck-Kanal, der nur in der Netzkategorie C gelandet ist und damit per Definition nicht-prioritär ist – wenn denn der Bund seiner eigenen Kategorisierung glauben will (S. 184f). Die Einstufung in C impliziert den reinen Erhalt der Verkehrsfunktion. Außerdem hat dieses Projekt erhebliche Eingriffe in die Natur zur Folge – weswegen ich das in der 16. WP schon vehement bekämpft habe. Die 840 Millionen Euro sollte man sich sparen…

Für die geplante Elbvertiefung zwischen Hamburg und Nordsee wurden keine Bewertungsergebnisse veröffentlicht. Diese wird als „zugesagt“ in eine eigene Kategorie eingestuft, als de facto indisponibler Bedarf. Allerdings mit einer aktualisierten, deutlich erhöhten Kostenschätzung: statt wie bisher knapp 250 Millionen Euro kostet dies den Bund nun knapp 400 Mio. €, dazu kommen noch 200 Mio. €, die Hamburg selber aufbringt! Ergab die Bewertung etwa ein zu schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis, das zu veröffentlichen man so vermeiden wollte?

Was ist vordringlich?

Zunächst einmal wurden vor Beginn der Projektbewertungen einige Projekte von einer erneuten Überprüfung ausgenommen, und zwar solche, die sich a) in Bau befinden – wo das natürlich Sinn macht, aber auch solche, die b) nur zugesagt waren (wie z.B. die 99 Projekte, die der Verkehrsminister 2014 und 2015 jeweils nachträglich mal eben per Handstreich in den Straßenbauplan des Haushaltes eingestellt hat), oder gar c) solche, die man auf Grund eher windiger Begründungen wohl von einer erneuten Überprüfung ausnehmen wollte, wie die nächste Baustufe der A 100 in Berlin. Diese sind jedenfalls alle gesetzt und sollen definitiv gebaut werden. Dadurch, dass sie nicht erneut überprüft wurden, liegen aber auch keine aktualisierten Kostenschätzungen und Nutzenberechnungen vor – die für die politische Arbeit immer hilfreich sind.

Während bei Schiene und Wasser alles mehr oder weniger vordringlich, also bundesweit bedeutsam sein soll (S. 10), sind das bei Straßen nur ausgewählte Projekte. Besonders vordringlich sind dabei die mit VB-E gekennzeichneten Projekte, die der Engpassbeseitigung dienen. Wie die Karten auf den Seiten 17 und 18 zeigen, liegen diese nicht im Osten, hier gibt es kein einziges neues VB-E Projekt (vordringlicher Bedarf - Engpassbeseitigung). Das Volumen des VB-E umfasst insgesamt 19 Mrd. €, davon sind aber 5,5 Mrd. € bei Projekten enthalten, die als laufend bezeichnet werden (S. 37). Positiv ist, dass eine Einstufung als VB-E kein Projekt erhalten hat, für das ein hohes naturschutzfachliches Risiko ermittelt wurde. Das gilt allerdings nicht für die im Folgenden dargestellten vordringlichen Bundesstraßenprojekte. Bundesweit bedeutsam sind auch einige Bundesstraßen, bei denen in der Spalte VFS eine 1 oder 0 steht (S. 36). VFS steht dabei für „Verbindungsfunktionsstufe“, das wird auf Seite 9 kurz erläutert. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass das BMVI zugesteht, dass alle Bundesstraßen / Ortsumfahrungen ohne ein VFS eigentlich bundespolitisch ohne Bedeutung sind.

Exkurs: Theoretisch könnte man sich anhand dieser Einteilung / Bewertung auch der bei der Diskussion um die Bundesfernstraßengesellschaft aufgekommenen Frage nach der Definition eines Bundesnetzes nähern, das sicher nicht alle Bundesstraßen beinhalten, aber auch nicht nur auf Autobahnen beschränkt sein sollte.

Wie werden die Mittel im Straßenbau auf die Länder verteilt?

Unabhängig davon, dass für uns als an einer sozialökologischen Verkehrswende interessierten es nicht gerade ein „Erfolg“ ist, viele Straßenbaumittel zu bekommen, wird diese Frage der Mittelverteilung sicher im Zuge der Beratungen des BVWP eine größere Rolle spielen.

Wie die Tabelle zeigt, gibt es eine erhebliche Verschiebung in den Westen. Die West-Länder feiern das bereits entsprechend. Das lässt sich sicher z.T. damit erklären und rechtfertigen, dass es 2003 noch einen großen Nachholbedarf nach der Wiedervereinigung gab. Ob das Ausmaß der Verschiebung und die größte Kürzung ausgerechnet in Thüringen nicht auch einen politischen Hintergrund haben, mag ich noch nicht beurteilen. Der Verteilungskampf Ost-West, wie er mit den Regionalisierungsmitteln begann, geht jedenfalls damit vermutlich in eine weitere Runde.

Dazu kommt, dass die Tabelle nur die halbe Wahrheit zeigt, die ganze ist „noch schlimmer“, zumindest aus Verteilungssicht. Denn „mindestens 80%“ (S. 9) oder 75 % (S. 14 und 36) der Straßenbaumittel sollen in die vorrangingen, überregional bedeutsamen Projekte fließen, also VB-E, Autobahnen im VB und die Bundesstraßen mit einer 1 oder 0 in der Spalte VFS. Für alle anderen Bundesstraßen bleiben als Restgröße 25% der Neu- und Ausbaumittel reserviert.

Eigentlich müsste man pro Land alle VB-E, Autobahnprojekte und die Bundesstraßen mit VFS 0 und 1 addieren und schauen, wie sich diese dann auf die Länder verteilen, ob es hier größere Abweichungen zu den neuen Länderquoten gibt! Denn angesichts der geplanten Priorisierung von 75 oder 80% der Mittel könnte dies die Gewichte noch weiter zu Ungunsten des Ostens verschieben, wenn die Länder mit mehr vordringlichen Projekten auch tatsächlich mehr Geld bekommen, also ggfs. auch mehr als den ausgewiesenen Anteil (s. Tabelle).

 

 BVWP Tabelle

 

Wie will der Bund die Priorisierung durchsetzen und Bodewig II umsetzen?

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Fernstraßengesellschaft zumindest für diese Legislaturperiode „tot“ ist. Bislang ist es dem Bund aber nicht gelungen die Länder dazu zu bringen, die aus Bundessicht vorrangigen Projekte zu realisieren (siehe unsere Kleine Anfrage Bilanz BVWP 2003: Projekte mit einem NKV < 3 wurden prozentual mehr realisiert als die mit NKV > 8!).

Ohne eine Reform der Auftragsverwaltung aber wird sich daran wohl nicht viel ändern. Geht der Bund jetzt auf die Länder zu, um den Bericht der Bodewig-II-Kommission umzusetzen? Oder will er über die Zuteilung der Mittel steuern? Hier haben wir im Augenblick noch mehr Fragen als Antworten.

Wie geht’s weiter?

Zunächst einmal gibt es eine Öffentlichkeitsbeteiligung vom 21.März bis zum 2. Mai 2016. Die wird dann ausgewertet und anschließend wird der Plan evtl. etwas verändert, sowohl auf Basis der Stellungnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung als auch der der beteiligten Ressorts, insbesondere des Umweltministeriums (so ist zumindest zu hoffen), das vorab gar nicht beteiligt war. Nicht einmal die Aussagen zu den Umweltauswirkungen und selbst der 252-Seiten umfassende Umweltbericht durfte das BMUB vor der Veröffentlichung sehen. Frau Ministerin Hendricks hat sich entsprechend per Brief echauffiert, was auch in der Presse seinen Niederklang fand.

Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung – die auf die EU-Richtlinie für eine strategische Umweltprüfung für Pläne und Programme zurückgeht – ist neben dem BVWP selber explizit auch der Umweltbericht. Dieser ist zwingend vorgeschrieben – und wurde von externen Gutachtern erstellt. Die Beteiligung gibt es auch nicht auf Grund höherer Einsicht des BMVI, sondern nur, weil die EU das vorschreibt. Beim BVWP 2003 hat man das noch vermieden, weil man die EU-Richtlinie einfach verspätet umsetzte, eben erst nach Verabschiedung des BVWP 2003 (unter rot-grün übrigens…).

Gegenstand der Stellungnahmen sollten keine einfachen ja – nein-Aussagen zu einzelnen Projekten sein, sondern, wenn sie sich schon auf einzelne Projekte beziehen, mit der konkreten Bewertung dieser befassen und vor allem auch mit der Netzwirkung argumentieren, also letztlich auch der bundesweiten Relevanz. Wenn man ein Projekt, das in „kein Bedarf“ eingestuft wurden, „rein kriegen“ will, muss man wissen, ob es überhaupt angemeldet war. Projekte, die gar nicht erst angemeldet waren, braucht man sicher nicht zu erwähnen. Es scheint, dass die Projekte der Kategorie KB (kein Bedarf) nicht einmal in der PRINS-Datenbank vom BMVI im Internet dargestellt sind. Diese findet sich unter www.bvwp-projekte.de.

Ergänzend liegen die Unterlagen zum Bundesverkehrswegeplan, also der Plan mit den projektlisten sowie der Umweltbericht, auch an 20 Orten in Deutschland physisch aus. Dort soll es jeweils auch einen Rechner mit Zugang zu PRINS geben. Wo, steht unter http://gleft.de/1f5.

Eine „Lesehilfe“ für die PRINS-Datenbank und Kriterien für die Einschätzung der Projekte können wir vielleicht noch erarbeiten. Vor Anfang April ist das aber nicht zu schaffen, da liegt ja auch noch Ostern dazwischen.

Am Ende des Regierungshandelns steht jedenfalls ein Kabinettsbeschluss zum BVWP, bei dem vermutlich gleich die Entwürfe für die auf diesem basierenden Ausbaugesetze - nun für alle 3 Verkehrsträger (bisher nur Straße und Schiene) - beschlossen werden. Der ist dann irgendwann im Mai oder Juni zu erwarten. Dann sind die Länder – die nach dem Grundgesetz aber nicht Zustimmungspflicht sind und die Gesetze somit nicht stoppen können – dran, bevor diese Ausbaugesetze dann offiziell den Bundestag erreichen. Der Verkehrsausschuss wird sich nach derzeitigem Planungsstand Ende Oktober und Anfang November intensiv damit befassen. Dann wird es sicher Änderungen geben! Beim letzten BVWP wurden insgesamt 115 Straßenprojekte fröhlich zwischen den Kategorien hin und her geschoben. Auch von KB zu VB oder anders herum! Die Liste liegt als Anlage zu einer Kleinen Anfrage von uns vor (http://gleft.de/1f6).

Letztlich war es dabei „nötig“, die offizielle Laufzeit des BVWP 2003 von Ende 2015 auf Ende 2017 zu verlängern, damit das in der Summe durch die Umstufungen ausgeweitete Volumen irgendwie realistisch ist.

Mit der endgültigen Verabschiedung ist somit noch dieses Jahr zu rechnen. Das ist auch der explizite Wunsch der Koalition, die das Thema aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten möchte, wie sie es durch die Veröffentlichung 3 Tage nach den 3 Landtagswahlen ja auch schon da rausgehalten hat. Bei Schiene und Wasserstraße und auch noch Autobahnen können wir als Bundestagsfraktion sicher irgendwie koordinierend tätig werden, bei den ca. 1.500 Bundesstraßenprojekten geht das aber nicht.

 


  [1] 2016 sind es mit dem Dobrindtschen „Investitionshochlauf“ 12,6 Mrd. €, bis 2018 soll das auf 13,4 Mrd. € steigen! (zurück zum Text)

  [2] Gesamtsumme VB ist 94,7 Mrd. €, verfügbare Investitionsmittel bis 2030 sind 63,7 Mrd. € (zurück zum Text)

  [3] Schiene: 33,9 Mrd. € zu 25,5 Mrd. € = 24,8% Reserve; Straße: 51,5 Mrd. € zu 39,8 Mrd. € = 22,8% Reserve; Wasser: 5,1 Mrd. € zu 0,9 Mrd. € = 82,4 % Reserve; Gesamt: 90,5 Mrd. € zu 66,2 Mrd. € = 26,9 % Reserve) (zurück zum Text)

  [4] Diese Angaben sind nicht mit den entsprechenden Haushaltstiteln vergleichbar! Im Haushalt 2016 sind etwa 3,2 Mrd. € für den Neu- und Ausbau, gegenüber knapp 3 Mrd. € für den Erhalt eingestellt. (zurück zum Text)

  [5] Angaben je Verkehrsträger vermutlich abweichend, aber nicht bezifferbar, da die Zahlen nicht vorliegen, wie sich die 6,7 Mrd. € bei der Schleppe verteilen! (zurück zum Text)

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