Umweltfreundliche Mobilität für alle ermöglichen!
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- 14 Januar 2011
- von Sabine Leidig und Dominik Fette
Klimaschädlicher Pkw-Zwang oder im Dorf versauern?
Es ist Zeit für ein Grundrecht auf Mobilität, um soziale und ökonomische Exklusion zu verhindern. Dieses muss in ökologisch und sozial verträglicher Form gewährleistet werden. Günstiger ÖPNV statt Zwang zum eigenen Pkw heißt daher die Devise in Zeiten von Klimawandel und steigendem Ölpreis.
(Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift mobilogisch! 4/2010 - November 2010)
Weil die flächendeckende Versorgung mit ÖPNV, im Unterschied zur Bereitstellung von Straßeninfrastruktur, nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommunen zählt, wird vielerorts und vor allem im ländlichen Raum, daran gespart. Das führt dazu, dass bestehende Angebote ausgedünnt und damit unattraktiver werden. Die ohnehin niedrigen Fahrgastzahlen gehen weiter zurück, was wiederum als Argument für eine weitere Ausdünnung genommen wird.
Grundrecht auf Mobilität
Politik sollte mit Blick auf die Menschen und die Zukunft gemacht werden – und nicht unbeweglich in bestehenden Regelungen verharren. Mobil zu sein, ist in unserer Gesellschaft unverzichtbar: für die Existenzsicherung (Wege zur Arbeit, zum Einkaufen), für Bildung und Kultur (Wege zu Schule, Ausbildung, Uni, Theater usw.) oder für den sozialen Austausch. Mobilität ist Bestandteil der Demokratie, denn „wer an der Gesellschaft teilhaben will, muss auch hinkommen können“ (Motto der Sozialticketinitiativen). Dies gilt umso mehr im ländlichen Raum mit schrumpfender Bevölkerung, wo Gesundheitsdienste, Schulen, oder Kulturangebote, immer mehr ausgedünnt werden. Eine solidarische und demokratische Gesellschaft braucht deswegen ein Grundrecht auf Mobilität. Die öffentliche Hand muss Mobilität für alle ermöglichen –barrierefrei und bezahlbar - als Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge.
Autoverkehr hat keine Zukunft
Das bedeutet nicht ein Recht auf motorisierten Individualverkehr. Denn diesen kann sich die Gesellschaft auf Dauer nicht leisten. Neben dem riesigen Aufwand für Straßenbau, sind Klimawandel, Schadstoff-, Lärm- Gesundheitsbelastungen und die Folgen von Unfällen in Rechnung zu stellen: Die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Autoverkehrs sind immens.
Dazu kommt die zu erwartende Kostensteigerung für den Sprit: Mittlerweile geht auch ein „Thinktank“ der Bundeswehr (1) davon aus, dass das weltweite Fördermaximum für Erdöl (Peak Oil) zwischen 2009 und 2012 erreicht ist und skizziert die Folgen: Wenn die Fördermenge zurückgeht, die Nachfrage nach Öl aber weiter steigt, wird der Ölpreis mittelfristig um ein Vielfaches ansteigen und Versorgungsengpässe sind zu erwarten. Die Autoren halten dramatische Szenarien in den folgenden 20 bis 30 Jahren für realistisch, wenn nicht rechtzeitig umgesteuert wird. Alternative Treibstoffe und Antriebe (Biosprit, Hybrid, Elektro) können auf absehbare Zeit keinen ausreichenden Kompensation bieten und bewirken ebenfalls Ressourcenprobleme (Anbaufläche für Treibstoffe bzw. Nahrung sowie Rohstoffe für Batterien sind ebenfalls ein knappes Gut).
Politik braucht Mut zur Veränderung!
Der motorisierte Individualverkehr verursacht hohe externe Kosten und wird mittelfristig auch für die Nutzer immer teurer und damit zu einer Luxusware, die sich breite Bevölkerungsschichten nicht mehr leisten können. Die beiden zentralen Herausforderungen sind also erstens: Mobilitätsbedürfnisse so zu befriedigen, dass möglichst geringe ökologische und volkswirtschaftliche Schäden entstehen; und zweitens: heute schon die Strukturen so zu verändern, dass wir angesichts eines bald rapide steigenden Ölpreises keine krisenhaften Zusammenbrüche befürchten müssen. Hinzu kommt der soziale Anspruch, dass Mobilität für alle Menschen möglich sein muss und niemand wegen Armut „abgehängt“ werden darf.
Aus dieser Perspektive greifen viele Argumente gegen den ÖPNV als Daseinsvorsorge zu kurz: Mit dem Hinweis auf die reicheren Bewohner des ländlichen Raums dort den ÖPNV zu streichen, ist eine Form der sozialen Selektion. Wer auf dem Land wohnt, seinen Job verliert und sich das Auto nicht mehr leisten kann, soll also in die Stadt ziehen? Um dort an einer Ausfallstraße zu landen, wo der Pendlerverkehr aus dem Land vorbeirauscht, weil hier die Mieten besonders günstig sind? Die Diskrepanz zwischen denen, die Nutznießer und denen, Leidtragende des Autoverkehrs sind, würde noch größer werden. Umgekehrt soll aber der ÖPNV kein Transportmittel für die Armen und Alten sein!
Das Argument von der „freiwilligen Autoabhängigkeit“ ist verfehlt, weil die meisten Nicht-Städter gar nicht „absichtlich“ aufs Land zogen, sondern hier aufgewachsen, kulturell verwurzelt und sozial eingebunden sind. Auch gibt es nicht wenige, die gar nicht selbst Auto fahren können –z.B. weil sie zu jung, zu alt, oder „fahruntüchtig“ sind . Wenn der Bus nicht regelmäßig fährt, oder kein Bahnanschluss erreichbar ist, dann bedeutet das, dass solche Menschen ihre soziale Bindung verlieren, dass (vor allem) Mütter ihre Kinder zum Sport- und Musikunterricht kutschieren müssen, dass Jugendliche nicht eigenständig mobil sind… Das aber widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.
Flexibler ÖPNV im nachfrageschwachen Raum kostet zwar vergleichsweise viel Geld; allerdings gibt es eine Reihe gelungener Beispiele dafür, wie mit bürgernahen Angeboten die Nachfrage steigt und das Defizit sinkt. Ein schlechtes ÖPNV-Angebot verstärkt hingegen die Abwanderung aus dem ländlichen Raum und wirkt sich so auch negativ auf die Gemeindekasse aus. Die Kosten relativieren sich auch vor dem Hintergrund der Einsparpotentiale beim Straßenverkehr - auch für die Kommune: Die niederländische Stadt Hasselt verzichtete z.B. auf den Bau eines dritten Straßenrings, führte Parkgebühren ein und setzt stattdessen seit vielen Jahren erfolgreich kostenlose öffentliche Busse ein. Pflichtaufgaben der Kommunen zugunsten des Pkw-Verkehrs gehören auf den Prüfstand – der ÖPNV hingegen muss zur Pflichtaufgabe werden, damit auch seine Finanzierung krisensicher wird!
Attraktivität schafft Nachfrage
Der Spruch „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“ lässt sich für den ÖPNV umwandeln: „Wer den ÖPNV ausbaut und attraktiver macht, wird immer mehr Fahrgäste ernten.“ Attraktiv heißt: 1. flächendeckende ÖPNV-Verbindungen auch im ländlichen Raum; 2. ein vernünftiger Takt, so dass der Tag nicht nach dem Fahrplan organisiert werden muss; 3. ein integrierter Taktverkehr, der den Nah- und Fernverkehr optimal verknüpft; 4. Ergänzungen mit flexiblen Angeboten wie Anrufsammeltaxi, Leihfahrrad und Carsharing (das „Dorfauto“ für den besonderen Transportbedarf); 5. ein Zugang ohne Barrieren; 6. die Bezahlbarkeit für alle – gewährleistet durch Sozialtarife.
Wie ein attraktives Angebot Fahrgäste herbeilockt, zeigt beispielhaft das Karlsruher Modell. Dort wollten im Umland immer mehr Gemeinden an das Stadtbahnnetz angeschlossen werden. Heute versorgt es mit einem dichten Netz von über 200 Bahn- und Buslinien die gesamte Region Mittlerer Oberrhein und stellt Verbindungen in Nachbarregionen her.
ÖPNV nicht isoliert betrachten
Es geht nicht darum, dass jeder Mensch zu Jeder Zeit an jeden Ort fahren kann. Aber die Politik muss sicherstellen, dass für alle Bevölkerungsgruppen die Orte erreichbar sind, zu denen die Menschen hin wollen und müssen. In diesem Sinne muss für das Recht auf Mobilität die Planung des ÖPNV-Angebots zusammengedacht werden mit einer langfristigen Entwicklung der Siedlungsstrukturen: gegen weitere Zersiedelung und für möglichst wohnortnahe Versorgung mit den Einrichtungen des allgemeinen Bedarfs. Dabei gehören auch Instrumente mit teilweise schädlicher Lenkungswirkung wie die Pendlerpauschale und die Eigenheimzulage auf den Prüfstand. Ein wohlverstandenes Recht auf Mobilität schließt die direkte Beteiligung der Bevölkerung bei der Planung von ÖPNV-Angeboten ein – in Formen, bei denen sowohl die individuellen Bedürfnisse als auch die Notwendigkeit des sozial-ökologischen Strukturwandels Eingang finden.. Außerdem gehört zur Planung des ÖPNV-Angebots die direkte Beteiligung der Bevölkerung – und zwar nicht in Form einer einfachen Befragung im Sinne der Marktforschung, sondern in Diskussionsforen, in denen sowohl die individuellen Bedürfnisse als auch die Notwendigkeit des sozial-ökologischen Strukturwandels Raum haben.
Fazit
Die schwindende Ölbasis des Autoverkehrs sowie die schädlichen Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Gesundheit erfordern einen umfassenden Strukturwandel, der nicht allein den individuellen Handlungen und Marktkräften überlassen werden kann. Es braucht ein Bündel mutiger politischer Schritte:
- ein attraktives ÖPNV-Angebot;
- echte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger;
- klare sozial-ökologische Vorgaben für den Öffentlichen Verkehr;
- Umlegen der Kosten des Pkw-Verkehrs auf die Verursacher;
- flankierende Maßnahmen der Industrie- und Arbeitsmarktpolitik, um den Beschäftigten der fossilen Branchen (Automobilindustrie) andere Perspektiven zu eröffnen.
Zu gewinnen ist viel:
Entlastung von Klima und Umwelt; mehr Lebensqualität durch bessere Luft, weniger Lärm und mehr Verkehrssicherheit; Entlastung der Haushaltskasse, wenn man sich das Auto sparen kann; neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze und eine bessere, bürgernahe Politik.
Info + Quelle:
(1) „Peak Oil. Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen.“ Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr, Ressort Zukunftsanalyse, Juli 2010. > zur Studie > Artikel im Spiegel > Artikel unter Peak-Oil.com, einem Portal des Büros für postfossile Regionalentwicklung.
Sabine Leidig: Besser verkehren. Solidarische Alternativen für Mobilität. In: Luxemburg, Heft 3/2010.
Karl-Georg Schroll: Linke Verkehrspolitik ist Sozialpolitik – oder: Welche Richtung sollte LINKE Verkehrspolitik einschlagen?