Dorothée Menzner in Japan: 13.02.2012: Tokyo - Treffen mit Hiroshima-Überlebendem, Abgeordneten und Abendveranstaltung bei Anti-Atom-Initiative
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- 13 Februar 2012
Zuerst treffen wir Herrn Hida. Herr Hida ist Arzt, inzwischen 96 Jahre alt und hat als Arzt den Atombombenabwurf auf Hiroshima erlebt und die Opfer versorgt. Sein Buch, das auch deutsch den Titel „Der Tag, an dem Hiroshima verschwand“ trägt und leider neu vergriffen ist, ist wirklich sehr zu empfehlen. Er engagiert sich bis heute für Frieden und gegen Atomtechnik in einer Ärzteorganisation, die er mit ins Leben rief.
Schon vom Auftritt ist Herr Hida zuriefst beeindruckend. Ein kleiner, agiler Mann mit Stock, sprühend vor Energie, und eine enorme innere Kraft ausstrahlend. Wir unterhalten uns eine gute Stunde, weniger über das Erlebte als vielmehr über die Situation mit vier zerstörten Reaktoren heute. Sein erster Gedanke, als er von Problemen in Fukushima Daichi am 12.3.2011 hörte, war, dass Japan damit mindestens die nächsten 10 bis 20 Jahre zu kämpfen haben wird. Heute wissen er und ich, dass es noch viel länger sein wird. Aus medizinischer Sicht hält er es zwischenzeitlich eigentlich für notwendig, ganz Japan zu evakuieren, denn auch niedrige Strahlung schädigt, und es gibt gesundheitliche Folgen von Strahlungen, die sich nicht in sofortigem Tod, Krebs oder Missbildungen bei Kindern ausdrücken. Das weiß er aus seinen Arbeiten zu den Folgen von Three Miles Island. Bei der Frage, ob die japanische Regierung richtig agiere, lacht er - so wie eigentlich jeder Japaner den wir fragen. Der Regierung glaubt niemand mehr etwas, und sie hat offensichtlich jedes Vertrauen in dieser Frage verspielt. Sie ist in seinen Augen die Geisel von Konzernen und ihren Gewinninteressen und eine Wirtschaftsform, die alle Grundbedürfnisse zu einer Frage von Profit und Gewinnstreben macht, das Grundübel. Auch er bestätigt mir, dass die Atomkraftwerke in Japan ein nicht notwendiges Risiko waren und sind, denn auch momentan, da nur noch drei AKWs Strom produzieren, ist die Stromversorgung gewährleistet. Und er fügt an, dass man durchaus auch mit dem Sonnenlicht leben könne und es aus seiner Sicht kein kultureller Fortschritt sei, dass Menschen Tag und Nacht arbeiten, Autos produzieren und an Fertigungsstraßen stehen für Güter, deren Nutzen zweifelhaft ist.
Danach treffen wir den Unterausabgeordneten Herrn Hattori. Wir kennen uns seit vergangenem Sommer. Er gehört der sozialdemokratischen Partei an und ist Vorsitzender der interfraktionellen Gruppe von Abgeordneten gegen Atomkraft. Und obwohl rund 70 Prozent der japanischen Bevölkerung für einen Atomausstieg eintreten, ist diese Überzeugung unter den Abgeordneten noch in der Minderheit. Japan hat ein Erneuerbares-Energien-Gesetz nach deutschem Vorbild beschlossen, was allerdings erst im April in Kraft tritt. Aber schon jetzt ist der Zuwachs an erneuerbaren Energie-Anlagen sichtbar. Es sind die kleinen und komplizierten Fragen, mit denen er sich beschäftigt, um einen Atomausstieg möglich zu machen: die Ängste der Menschen vor steigenden Strompreisen widerlegen, das Netz für dezentrale Erzeugung umbauen, aber auch, wie die Atomkonzerne effektiver überwachen als in der Vergangenheit. Wir werden weiter eng kooperieren, denn die Probleme, die uns diese globalen Konzerne der Atommafia eingehandelt haben, sind in Deutschland und Japan sehr ähnlich. Und es ist eine globale Mafia - Japan baut weiter AKWs in Korea, die Deutsche Bank hält 12% der Anteile an Tepco, dem Betreiber von Fukushima, und Grohnde und Fukushima bezogen bzw. beziehen ihre MOX-Brennelemente vom gleichen französischen Hersteller.
Abschließend mache ich eine Abendveranstaltung mit Referat und Diskussionsrunde bei einer Gruppe linker Aktivisten, die ich aus dem Sommer kenne. Sehr beeindruckend ist der Wissenszuwachs bei den Genossen - in allen Fragen die Atomenergie betreffend - seit dem Sommer. Da ist Wissen, das in der deutschen Anti-Atom-Bewegung über Jahrzehnte entstanden ist, binnen Monaten nachvollzogen worden. Viele Fragen machen aber auch deutlich, wie groß der Druck ist und dass unsere Rezepte wie man Widerstand organisiert hier nicht unbedingt greifen werden, denn die Zeit drängt, und die Probleme sind einfach überwältigend. Etwa das, wie man verhindert, dass der verstrahlte Tsunamischrott über ganz Japan verteilt - in Haus- und Industriemüllverbrennungsanlagen einfach verbrannt wird und damit weitere Landstriche verstrahlt werden.
Der Abend klingt mit einem gemeinsamen Essen fröhlich und in angeregten Diskussionen aus. Die Fotos, die Sami - unser Kameramann - von Castorprotesten und Anti AKW Demos aus 30 Jahren dabei hat, machen die Runde und werden heftig diskutiert.
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