Die Stümperer von Gorleben

Zeugenvernehmung Untersuchungsausschuss Gorleben 10. Februar 2011Diettrich_uw

Ein schlechteres Zeugnis hätte man den deutschen Behörden kaum ausstellen können: dackelig sei man bei der Endlagererkundung vorgegangen, insbesondere bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und dem Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung (NLfB). Das scharfe Urteil, das der Zeuge Dr. Thomas Diettrich fällt, kommt nicht von ungefähr. Diettrich war von 1978 bis 1982 bei der Firma Lahmeyer beschäftigt und hatte die Aufgaben, Kriterien für die Eignung von Endlagern zu erarbeiten, Untersuchungsbohrungen auszuführen sowie Szenarien für einen GAU (sogen. Forrester-Modell) zu erarbeiten. Die Firma Lahmeyer hatte damals beste Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Geotechnik und Felsmechanik. Diettrich, der vorher in Südafrika Erfahrungen bei komplizierten 4.000 Meter tiefen Bohrungen gesammelt hatte, war zunächst von Lahmeyer für das Projekt Nationales Entsorgungszentrum (NEZ), wie es 1978 noch hieß, angeworben worden. Ganz zu Beginn hatte es noch eine Reihe von Auflagen gegeben. Doch es dauerte nicht lange, da die spielten beispielsweise die Endlager-Kriterien keine Rolle mehr: es ging dann nur noch um die reine Erkundung nach Bergrecht. Die Pläne schrumpften bereits 1979 – nachdem Albrecht sich gegen eine Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben entschied – zusammen. Er selbst sei ganz zu Anfang noch nach Schweden geschickt worden, um das dortige Know How zu lernen.

 

Internationales Know How unerwünscht

Diettrichs Vorschläge, eine objektivere Verfahrenstechnik einzuführen, wie er sie in Schweden kennen gelernt hatte, stießen indes auf taube Ohren. Die deutschen Fachbehörden maßen dem ausländischen Know How keinerlei Bedeutung zu. Es fehlte an modernem Management und an Verfahrenstechnik: Bei jedem U-Bahnbau würde man ein strategisches Management einsetzen, um unvorhergesehene Situationen meistern zu können. Nicht so in Gorleben. Das Wissen und der Wissensaustausch waren mangelhaft. Wenn man aber ein neues noch unbekanntes Gebiet erforschen will – und das war die Endlagerproblematik damals – würde man üblicherweise ein Wissensscreening machen und fragen, wo sind die besten Leute, wo ist die Forschung am weitesten und würde erst einmal das Wissen zusammentragen. In Deutschland griff man auf eine zuständige Behörde zurück, in der bereits die Beamten saßen, und die hat man losgeschickt, auch wenn sie keine Ahnung hatten. Diettrich nennt das „Learning by doing“ und erklärt eine solche Vorgehensweise bei einer so wichtigen Aufgabe für „nicht akzeptabel“.

Man beließ es aber nicht bei einer stümperhaften Vorgehensweise. Nicht einmal der fachliche Austausch vor Ort war gewünscht: Wissenschaftlern war der kritische Meinungsaustausch nicht gestattet, Fachgespräche, in denen man die mögliche Nichteignung von Salz thematisierte, waren untersagt. Ein von ihm entwickeltes EDV-Verfahren, mit dem man Diskordanzen zwischen den Bohrergebnissen genauer hätte analysieren können, wurde von der PTB abgelehnt. Man wollte den Ungereimtheiten bei den Bohrergebnissen nicht nachgehen. Dies hätte die Hinweise auf ein total zerklüftetes, löchriges Deckgebirge untermauern können, was später bestätigt wurde.
Und als ob das noch nicht genug wäre, erhob Diettrich noch einmal den Vorwurf (wenn auch leicht abgeschwächt), den er schon in einem Artikel der Frankfurter Rundschau (siehe link unten) erhoben hatte: „Es gab eine Einflussnahme auf Daten.“  Bohrergebnisse seien derart gefärbt worden, dass sie „günstig interpretiert“ wurden. Bei Daten, die in gewissen Bandbreiten vorlagen, blieben am Ende nur noch Werte übrig, die im grünen Bereich lagen, „Messergebnisse  wurden „zweckgebunden"
bewertet, um Planungssicherheit zu gewinnen. „Meine Berichte sind entschärft, meine Bedenken gestrichen worden,“ so Diettrich.  Bei den Grenzwerten für Durchlässigkeiten hat man sich ebenfalls gegen den internationalen Standard entschieden. Dieser liege bei 10-11, in Gorleben war man großzügiger: 10-8 war hier der noch zulässige Durchlässigkeitswert.
http://www.fr-online.de/wirtschaft/energie/daten-manipuliert/-/1473634/4433812/-/index.html

Offenes Verdeck

Das Deckgebirge über dem Gorlebener Salzstock  vergleicht Diettrich mit einem offenen Wagenverdeck: „Das Deckgebirge ist das A und O, damit das Salz nicht vom Wasser angenagt wird.“ In Gorleben herrschte das Prinzip „wir werden’s schon irgendwie bessern können“. Nicht so bei den Lahmeyer-Leuten: „Wir haben damals nicht gesagt ‚wird schon klappen‘, sondern haben uns Sorgen gemacht.“ Man könne schließlich aus einem alten Kübelwagen keinen Mercedes machen. 
Anfang der 1980er Jahre wurde schließlich eine Studentengruppe unter Leitung von Prof. Simons angeheuert, die die Bauleitung übernahm. Lahmeyer wurde nach und nach heraus gedrängt. Man hat sich für die billigere Lösung entschieden, denn Lahmeyer war teuer. Neben Diettrich verließen damals etwa 50 weitere Wissenschaftler Lahmeyer. „Wir kamen wissenschaftlich und technisch nicht weiter,“ so Diettrich. Heute seien übrigens viele von denen, die sich intensiv für den Endlagerbereich interessierten und die damals frustriert gegangen sind, bei der NAGRA in der Schweiz angestellt.
Auch diesmal wurde von der Koalition ein Zeuge geladen, der einzig und allein die Aufgabe hatte, den Zeugen Diettrich der Opposition unglaubwürdig zu machen. Gelungen ist dies nicht. Prof. Kurt Schetelig, der damals Diettrichs Vorgesetzter bei Lahmeyer war, sagt aus, dass er mit Diettrich zwar nicht immer einer Meinung gewesen sei, er mit der Qualität seiner Arbeit aber stets sehr zufrieden gewesen sei.  Schetelig behauptet dann noch, der Aufgabenbereich von Lahmeyer sei auf Baugrunderkundung begrenzt gewesen. Dies ist deshalb wichtig, weil dann nicht zu erklären ist, wie Diettrich überhaupt zu seinem Detailwissen gekommen war. Als Schetelig allerdings Akten vorgelegt werden, aus denen hervorgeht, dass Lahmeyer damals zu einem Konsortium gehörte, das die gesamte Projektplanung NEZ übernahm und zudem hydrogeologischen Untersuchungen zum festen Programm gehörten, räumt er ein, dass hydrogeologische und Baugrunduntersuchungen kaum zu trennen seien.

Abseits

Die Muskelspiele der Koalition haben bei der Zeugenplanung einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem für den 24.2. ein Zeuge der Opposition aus terminlichen Gründen nicht zur Verfügung steht, hat die CDU/CSU/FDP kurzerhand einen ihrer Zeugen an dessen Stelle gesetzt: Kurt-Dieter Grill. Dieser Mann war in der vorhergehenden Sitzung bereits Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen, weil seine Entgegennahme von Firmengeldern (sogenannte Licht-Affäre) in den 80er Jahren thematisiert worden war, was Obmann Grindel verhindern wollte. Am 24.2. wolle man ihm nun Gelegenheit geben, sich zur Sache zu äußern. Dass man dabei allerdings gegen das Recht der Minderheit verstößt, ihrerseits einen Zeugen für diese Sitzung zu benennen, hält die Koalition für ihr gutes Mehrheitsrecht. Ist es aber nicht. Verabredungen gelten für den CDU-Mann Grindel offenbar nur so lange, wie er selbst sich einen gewissen Vorteil davon verspricht. Auch das Parlamentsrecht legt man nach Belieben aus. Die Sache wird ein Nachspiel haben.
Spiegel-Artikel zu Grill und Licht-Affäre:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527273.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13495239.html