Der ominöse vierte Standort

Prof._Dr._Klaus_Otto_Na_26.05.2011_2Klaus Otto Naß hätte dem Untersuchungsausschuss interessante Dinge berichten können. Der ehemalige Vertraute von Ministerpräsident Albrecht hätte zum Beispiel von einem wichtigen Ministergespräch zwischen Bund und Land in Hannover am 11.11.1976 erzählen können, bei dem über die Pläne für ein Nationales Entsorgungs-
zentrum gesprochen wurde: Albrecht sicherte dabei völlig unerwartet dem Bund zu, dass Niedersachsen rasch eine Lösung in der „Entsorgungsfrage“ herbeiführen würde. Und – fast nebenbei - wurde ein bis dahin unbekannter „vierter Standort“ ins Gespräch gebracht. Der sollte sich bald als derjenige herausstellen, den Niedersachsen favorisierte, der Bund aber zunächst ablehnte: Gorleben.

Prof. Dr. Klaus Otto Naß, Jahrgang 1931, damals einer der wichtigsten Berater von Ministerpräsident Albrecht,  war bei diesem Gespräch nicht zugegen. Doch als er davon erfuhr, verfasste er noch am selben Tag einen handschriftlichen Vermerk an den Ministerpräsidenten und den Staatssekretär, in dem es heißt: „Das Ergebnis Ihrer Besprechung hat unter den Beamten Überraschung ausgelöst, - weil die Landesregierung damit ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, einen Standort – unter der Voraussetzung: Sicherheit – zur Verfügung zu stellen, - weil bei jedem der drei (!) Standorte noch weitere Untersuchungen, einschl. Bohrungen erforderlich sind, ehe die Eignung feststeht.“ Naß machte aus seiner Meinung keinen Hehl: „Ich halte die Entscheidung für verfrüht“, denn zunächst müssten noch viele wissenschaftliche und technische Fragen geklärt werden. Er sieht zudem das Problem, dass „die gesamte wissenschaftlich technische und politische Diskussion sich nun auf Niedersachsens Standorte konzentrieren (wird), obwohl das nicht unerlässlich war.“ Und: „Die Bundesregierung hat weniger Anlass denn je Alternativen zu suchen.“

Die eigene Handschrift

Wenn man diesen Vermerk liest, hat man den Eindruck, als jemand, der in der Staatskanzlei so nah am Ministerpräsidenten war, vergisst man so einen Tag nicht. Aber Naß kann sich nicht erinnern. Er ist zwar erfreut, als man ihm das 35 Jahre alte Schriftstück vorlegt und erkennt seine Handschrift wieder. Aber erinnern? Nicht einmal der Begriff „Entsorgungszentrum“, der damals die Debatte bestimmte, scheint ihm noch geläufig.

Bis zum Schluss klärt sich nicht, ob er nicht kann oder nicht will. Seine mangelnde Erinnerungsbereitschaft ist vielleicht auch damit erklärbar, dass Naß heute noch mit der Albrecht-Familie eng befreundet ist. Der ehemalige Ministerpräsident gilt als dement und nicht vernehmungsfähig. Naß will vielleicht nicht der sein, der an seiner statt über die damaligen Entscheidungen aussagt. Er bringt überhaupt kaum Interesse für das Thema auf, ist wohl noch empfänglich für die Namen einiger Personen, mit denen er damals zu tun hatte, hat aber letztlich nichts, was inhaltlich relevant wäre, beizutragen. Er sei viele Jahre im Sudan gewesen, um regierungsunabhängige Entwicklungshilfeprojekte  voran zu bringen und die übrige Zeit vor allem in Brüssel tätig gewesen. Noch heute lehrt er als Honorarprofessor Europarecht an der Universität Hannover. Dies ist es auch, was einen so zweifeln lässt an seinen Erinnerungslücken. Ab einem bestimmten Alter ist man sicherlich über manche Dinge erhaben. Er jedenfalls mehr als alle bislang Gehörten. Der Untersuchungsausschuss entlässt den Zeugen nach nur einer Stunde Befragung einvernehmlich.

Schwieriger Auftakt für 1977

Die Befragung von Prof. Naß war thematisch der Auftakt für die Jahre um 1977. Es wird zunehmend schwierig, zu verlangen, dass sich jemand an Vorgänge von vor 35 Jahre noch erinnert. Die Akten sind da in der Regel aussagekräftiger. Zwar hätte jeder Zeuge die Möglichkeit, in die ihn betreffenden Akten vor einer Vernehmung Einsicht zu nehmen, wovon auch schon einzelne Gebrauch gemacht haben. Doch das setzt ein gewisses Interesse voraus. Naß hingegen ließ an einer Stelle unmissverständlich durchblicken, seine ihm verbliebene Lebenszeit sei ihm wertvoll, er habe noch viel zu tun. Das sei ja kein zukunftsweisendes Projekt. Es bleibt unklar, ob er meint, Gorleben habe keine Zukunft oder die Beschäftigung mit seinen Anfängen. Zurück bleiben manche mit dem vagen Gefühl, hier habe ein alter, sehr souveräner Mann den Untersuchungsausschuss zum Narren gehalten.

Der Mann fürs Grobe

Reinhold_Ollig_26.05.11kDer andere Zeuge, der vor dem Untersuchungsausschuss aussagt, hat von seiner damaligen Überheblichkeit nichts eingebüßt. Wer eine andere fachliche Meinung vertritt, wird bis heute von Reinhold Ollig beiläufig harsch abqualifiziert. Der Zeuge Ollig ist noch heute im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beschäftigt. Der nun 61-Jährige war Anfang der 1980er Jahre einziger Geologe im Ministerium. Wohl aus diesem Grund wurde er als einfacher Referent in den Schriftwechsel um Gorleben intensiv eingebunden. Selbstverständlich versichert er mehrfach, nichts sei je manipuliert worden. Das hat auch niemand anders von ihm erwartet.

Ollig verfasste 1982 mehrere böse Vermerke zu Prof. Duphorns Forschungsergebnissen. Letzterer hatte zu dieser Zeit davon abgeraten, Gorleben untertägig zu erkunden. Er begründete dies mit Risiken wie der „Gorlebener Rinne“, einer eiszeitlichen wasserführenden Schicht über dem Salzstock, dem unzureichenden Deckgebirge sowie der Unerforschtheit des Salzstocks in verschiedener Hinsicht. Duphorn plädierte daher einerseits für eine intensivere obertägige Forschung und empfahl andererseits, andere Lagerstätten zu suchen.

Dezidierte Meinung trotz Ahnungslosigkeit

Die Fachmeinung des damals 31-jährigen Ollig muss im BMFT ein gewisses Gewicht gehabt haben, obwohl er Duphorn von der Qualifikation her nicht das Wasser reichen konnte. Erstaunlich ist nur, woher Ollig das Selbstbewusstsein nahm, von „bedenkenerregenden Wortschöpfungen unwissenschaftlichen Charakters“ Duphorns zu sprechen und die Auffassung zu äußern, Duphorn sei als Quartärgeologe nicht in der Lage gewesen, ein qualifiziertes Urteil zum „Gesamtsystem Endlagerung“ abzugeben. Auf mysteriöse Art und Weise ist ein solcher Vermerk Olligs ans Deutsche Atomforum gelangt, das die Duphorn-Kritik wortgleich in einer Pressemitteilung veröffentlichte. Er selbst, Ollig, habe das Papier nicht ans Atomforum gegeben, sei auch nicht dessen Mitglied.

Ollig nahm es sich auch heraus, in der komplexen, damals intensiv diskutierten juristischen Frage, ob für die untertägige Erkundung zum Bergrecht auch das Atomrecht hinzuzuziehen sei, eine dezidierte Meinung zu vertreten. Als Nicht-Jurist nahm er in einem Vermerk vom 22.06.1981 das differenzierte Gutachten von des Trierer Jura-Professors Breuer auseinander, bescheinigte ihm „Unpraktikabilität“  und Widersprüchlichkeit. Dass in einem Ministerium, in dem es eine Rechtsabteilung gibt, Olligs Vermerke zu diesem Thema offenbar gewollt waren, sagt auch viel darüber, dass seine Qualitäten als „Allzweckwaffe“ im Haus durchaus geschätzt worden sein müssen.


Weitere Infos: Gas unter Gorleben. Aus für das Endlagerprojekt:
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