Kopenhagen bewegt: Konturen einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Und doch war er vielleicht der Anfang von etwas Neuem. Hunderttausend Menschen bei der Großdemo im nasskalten Kopenhagen und mehrere tausend bei den Protestaktionen während der Gipfelwochen. Erstmals wurden die Konturen einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit erahnbar.

Noch vor zwei, drei Jahren bewegte sich nichts mehr. Wie viele der Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er Jahre wurde auch die Umweltbewegung mehr zum Objekt der Geschichtsforschung, als dass sie ein lebendiger politischer Akteur war. In der Bewegungslinken war „Ökologie“ alles andere als ein Mode-Thema, wollte man doch Distanz zu den „grünen Mittelschichtsspießern“ wahren. Die Umweltverbände verwalteten derweil das Bewegungserbe. Bewegende Ausnahmen in den Bereichen Atomkraft und Gentechnik bestätigten eher den Gesamteindruck.

 

Der G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 schien ein Weckruf gewesen zu sein. Nicht noch einmal wollte man der Inszenierung von Angela Merkel als „Klimakanzlerin“ sprachlos gegenüber stehen. Auf Auswertungstreffen der G8-Proteste wurde plötzlich über linke Zugänge zur Klimapolitik gestritten. Linke Zeitschriften überboten sich mit Schwerpunktausgaben zum Thema „Klima“. Und im August 2008 fand in Hamburg als vorläufiger Höhepunkt das Klima- und Antirassismuscamp unter dem Motto „Für ein ganz anderes Klima“ statt. In dessen Folge verschrieben sich eine Reihe neuer Gruppen (Bremer Klimaplenum, gegenstromberlin u.a.), aber auch bestehende Zusammenhänge der Interventionistischen Linken dem Thema „Klimagerechtigkeit“.

Auch auf internationaler Ebene verschoben sich Akteurskonstellationen. Beim Klimagipfel in Bali im Dezember 2007 gründete sich „Climate Justice Now“ (CJN), ein Netzwerk kritischer NGOs vornehmlich aus dem globalen Süden. Es stellte damit den Alleinvertretungsanspruch des „Climate Action Network“ (CAN), das Bündnis der Umweltverbände, infrage. CJN kritisierte die Dominanz der großen Umweltverbände aus Europa und den USA bei CAN und prangerte die falsche Ausrichtung der UN-Klimaverhandlungen auf marktkonforme Lösungen an. Zu CJN gesellte sich im Vorfeld von Kopenhagen das Bündnis „Climate Justice Action“, in dem sich u.a. AktivistInnen der Klimacamps der letzten Jahre zusammenfanden.

„System change not climate change“

Der sich derart formierenden Bewegung für Klimagerechtigkeit geht es nicht um die Rettung „der Welt“ oder „der Menschheit“ als imaginäres Ganzes. Es wird vielmehr die soziale Frage der Klimakrise in den Vordergrund gestellt, die unterschiedliche Betroffenheit gegenüber dem Klimawandel, aber auch gegenüber den Scheinlösungen der Klimapolitik – Stichwort „Agrokraftstoffe“. Als Verantwortliche für den Klimawandel werden nicht nur abstrakt die Industrieländer, sondern die vorherrschenden profitorientierten Produktions- und Konsumweisen ausgemacht. „Klimagerechtigkeit statt Wachstumswahn“ war auf Transparenten zu lesen.

Die von vielen Umweltverbänden angeführte Alternativlosigkeit des UN-Klimaprozesses wird nach 20 Jahren nahezu erfolgloser Klimaverhandlungen infrage gestellt. Nicht zuletzt der rasant zunehmende globale Treibhausgasausstoß sei ein Beleg für die im Rahmen des Kyoto-Protokolls vereinbarten „falschen Lösungen“. Statt „end of pipe“ den Klimagasausstoß mit marktbasierten Instrumente á la Emissionshandel regulieren zu wollen, sollten Öl, Gas und Kohle von vorne herein im Boden gelassen werden.

„System change – not climate change“ war denn auch die Abschlussdeklaration des Kopenhagener Alternativgipfels „Klimaforum09“ übertitelt. Die Deklaration ist gleichsam Ausdruck einer Erweiterung des klimapolitischen Diskurses um linke Zugänge – noch bis vor kurzem keine Selbstverständlichkeit. Von einem in AktivistInnen-Kreisen hegemonialen Diskurs zu sprechen, würde allerdings zu weit gehen.

Neue Allianzen?

Kopenhagen war sicher kein Seattle. Es wurde keine Bewegung der Bewegungen sichtbar, so sehr dies viele im Vorfeld auch herbeisehnten. Trotzdem kann Kopenhagen zum erhofften Wendepunkt werden. Das klägliche Scheitern des Gipfels und die Rebellion einiger Entwicklungsländer könnte die in Kopenhagen gelegte Saat einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit aufgehen lassen. Denn wer noch die Illusion hegte, in den UN-Klimaverhandlungen ginge es um Klimaschutz, hat sie spätestens in Kopenhagen beerdigen müssen. Den Umweltverbänden könnte es dadurch leichter fallen, auf Distanz zum UN-Klimaprozess zu gehen, als dessen Teil sich viele bislang begriffen.

Eine bewegungspolitische Re-Alphabetisierung zumindest einiger Umweltverbände scheint nicht aussichtslos. Immer nur das Realistische statt des Erforderlichen oder Gewünschten zu fordern, frustriert auch in den Reihen der Umweltverbände. Auch der Versuch der Klima-Allianz, einem Bündnis von über hundert Umwelt- und Entwicklungsverbänden, mit apolitischen Demo-Aufrufen wie „Klimaschutz jetzt!“ die bürgerliche Mitte zu bewegen, ist gründlich daneben gegangen. Da kommt dann selbst der bayrische Forstwirt und Naturschützer Hubert Weiger, seines Zeichens BUND-Vorsitzender, zu dem Schluss: „Wir müssen radikaler werden“ (taz, 25.04.09).

Auch die Aktionsformen müssten sich beim Gros der Umweltverbände radikalisieren. Zumindest verbale Bereitschaft besteht. Christoph Bals, der Geschäftsführer von Germanwatch, erklärte vor Kopenhagen, „dass Strategien des zivilen Ungehorsams eine weit größere Rolle spielen werden, wenn Kopenhagen und der Folgeprozess scheitern sollte.“ (Standpunktepapier der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Vor dem Klimagipfel“)

Worauf also warten? Evo Morales hat Ende April zu einem alternativen Klimagipfel geladen. Emissionsärmer geht’s aber auch so: Gemeinsam gegen neue Kohlekraftwerke vor der eigenen Haustüre, gegen die Macht der Energiekonzerne kämpfen; für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr eintreten; gegen neue Braunkohle-Tagebaue und die Umsiedlung ganzer Dörfer protestieren und Alternativen zur kapitalistischen Wachstumslogik fördern – last but not least: die UN-Klimaverhandlungen im Juni 2010 in Bonn gebührend empfangen. Wir sehen uns!

Artikel von Bernd Brouns in der Zeitschrift prager frühling (Februar 2010).