Eckpunkte für eine linke Agrarpolitik
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- 15 Oktober 2013
Sieben Milliarden Menschen benötigen weltweit Zugang zu sauberem Wasser und gesunder Ernährung. Fast eine Milliarde Menschen haben nicht genug zu essen, zwei Milliarden sind fehlernährt. Im Jahr 2050 sollen neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Herausforderung, sie alle mit Essen zu versorgen, ist enorm. Linke Agrarpolitik muss dafür Sorge tragen, dass die Lebensmittelproduktion oberste Priorität hat. Das bedeutet nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Ebenso wenig bedeutet es, dass die Erträge durch Chemie oder Gentechnik so gesteigert werden, dass weitere Umweltrisiken entstehen. Und es bedeutet auch nicht, eine Agrarproduktion zu befürworten, die Böden, Klima oder die Biodiversität gefährdet. Um eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu sichern, sind Initiativen in vielen Bereichen nötig. Wie das aussehen könnte, hat die Linksfraktion im Bundestag in ihrem PLAN B («Das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau») von Juni 2012 beschrieben. Eines der vier Leitprojekte des sozial-ökologischen Umbaus ist die Landwirtschaft. Unter dem Motto «Vision 2050» formuliert der PLAN B eine Abkehr vom Weltmarkt und eine Hinwendung zum Wochenmarkt. Ernährungssouveränität und das Recht auf Nahrung sollen Leitbilder der internationalen Agrarpolitik werden. Jede Region der Welt soll sich im Wesentlichen selbst ernähren können und nicht über ihre Verhältnisse leben. Das gleiche Recht auf Natur- und Ressourcennutzung, das Hans Thie in seinem Buch «Rotes Grün» beschreibt, ist dafür die Grundvoraussetzung. So einleuchtend dieses globale Recht ist, so wenig hat es jedoch mit der Realität zu tun. Das muss sich ändern.
Linke Agrarpolitik unterscheidet sich grundlegend von den Politikansätzen von Schwarz-Gelb, der Agrar- und Lebensmittelindustrie oder der Welthandelsorganisation WTO. Sie verknüpft ökologische Notwendigkeiten mit sozialen Fragen. Es geht nicht darum, der verarbeitenden Industrie möglichst viele Agrarrohstoffe möglichst billig zu liefern, denn das geht nur auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt: In Schlachthäusern wird Akkord gearbeitet. Die Tierhaltung in vielen Ställen mag zwar legal sein, aber sie ist weit davon entfernt, tiergerecht zu sein. Junge Menschen wandern aus den ländlichen Regionen ab, weil landwirtschaftliche Berufe viel zu gering bezahlt werden. Linke Agrarpolitik muss ihren Beitrag dazu leisten, die produktiven Grundlagen der Agrarwirtschaft zu verbessern. Gleichzeitig ist sie dem Umwelt- und Ressourcenschutz verpflichtet. Sie muss auch dafür sorgen, dass landwirtschaftliche Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen erhalten bleiben. Linke Agrarpolitik will eine Agrarproduktion, die sozialer ist, besser zur Umwelt passt und fest in der Region verankert ist. Dafür sind das Ordnungsrecht, diverse Gesetze (etwa das Tierschutz- oder das Baugesetz) und die Förderpolitik von EU, Bund und Ländern zu ändern.
Klare Anreize zum sozial-ökologischen Umbau werden gebraucht. Klare Vorgaben für landwirtschaftliche Betriebe sind notwendig – aber sie dürfen sie nicht überfordern. Die Betriebe müssen beim sozial-ökologischen Umbau mitgenommen werden. Als Gegenleistung erhalten sie Gelder der EU-Agrarförderung. Auch der Ökolandbau muss stärker unterstützt werden, die komplette Agrarproduktion muss Schritt für Schritt ökologischer werden. Regionale Kreisläufe und Low-Input-Lösungen sind hierbei wichtige Stichworte. Darüber hinaus sind alternative Agrarprojekte wie die solidarische Landwirtschaft zu unterstützen. Je weniger Bauernhöfe von externen Betriebsmitteln abhängig sind, desto besser. Nur durch den schrittweisen Aufbau betrieblicher Eigenständigkeit kann die Befreiung aus der Preisumklammerung von Handel und Industrie gelingen. Das landwirtschaftliche System braucht eine betriebliche Kreislaufwirtschaft mit vielfältigen Fruchtfolgen und eine tiergerechte, standort-, umwelt- und sozialverträgliche Tierhaltung. Direktvermarktung und landwirtschaftliche Kooperationen (z. B. Erzeuger- und Vermarktungsgemeinschaften) tragen zur Unabhängigkeit bei, sie verdienen daher Unterstützung. Zudem sollte jeder Betrieb einen bestimmten Anteil seiner Fläche zur Produktion einheimischer Eiweißfutterpflanzen nutzen. Nötig ist eine nationale Eiweißstrategie, die Züchtung, Anbau und Verarbeitung umfasst. Beim Schutz der Umwelt kann eine Stickstoffüberschussabgabe helfen. Statt fossilen Agrardiesel steuerlich zu begünstigen, sollte das Geld zur Umstellung auf – betriebseigene – Pflanzenöle genutzt werden. Ein Abgabe- und Reduktionssystem für Pestizide könnte einen umweltschonenderen Pflanzenschutz unterstützen.
Der sozial-ökologische Umbau muss von einer öffentlichen Agrarforschung unterstützt werden. Sie muss ihr Augenmerk auf die Lösung der Probleme richten, die durch Hunger, Klimawandel und Umweltverschmutzung verursacht werden, und sich dadurch deutlich von den privaten Forschungsinteressen von Pharma- und Agrarkonzernen unterscheiden. Eine Schlüsselfrage ist der Zugang zu Boden, von dem viele Menschen abgeschnitten sind. In Deutschland drängt zunehmend landwirtschaftsfremdes Kapital auf den Bodenmarkt. Eine Konzentration des Bodens in den Händen privater Investoren muss verhindert werden. Die breiteste Streuung des Bodeneigentums wäre ein Verbot privaten Bodenbesitzes und die Überführung aller Flächen in öffentlichen, demokratisch kontrollierten Besitz. Dass dies weder bei Bäuerinnen und Bauern gut ankommt, noch in der Vergangenheit immer erfolgreich war, ist bekannt. Trotzdem stellt sich die Frage, warum es privaten Bodenbesitz geben muss.
Linke Agrarpolitik ist sozialer als grüne Weltverbesserungspolitik und grüner als sozialdemokratische Besitzstandswahrung. Nichtsdestotrotz ist sie einer der Politikbereiche, in denen eine rot-rotgrüne Regierung die geringsten Streitpunkte hätte.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift ROSALUX.